IV. Die Irrfahrten des Odysseus.
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diesen hatte Circe ihn gewarnt. Mit aller Kraft wurde gerudert, um
das Schiff ungefährdet durch die hoch aufschäumenden Fluten zu bringen.
Denn die Göttin Charybdis schlürfte die Wellen ein und spie sie dann
dreimal des Tages hoch in die Luft, daß sie mit Getöse niederfielen und
die Schiffe in die Tiefe versenkten. Indem Odysseus nun das Schiff so
lenkte, daß er dem Strudel der Charybdis entkam, näherte er sich allzu-
sehr dem Felsen der andern Meergöttin Szylla. Da fuhr diese plötzlich
mit ihren sechs Schlangenköpfen hervor und erfaßte sechs Gefährten zugleich.
Niemand konnte sie aus den Rachen des Ungeheuers retten. Schnell
segelte das Schiff auf die Insel Trinakria, d.i. Sizilien, zu.
9. Die Rinder des Sonnengottes. Schon hörten sie das Gebrüll
von Rindern und Schafen auf der Insel. Da erinnerte sich Odysseus
der Warnungen des Tiresias und der Circe, sich an den Rindern des
Sonnengottes nicht zu vergreifen. Deshalb wollte er weiterfahren; die
Gefährten aber zwangen ihn zu landen. Zwar ließ er sie schwören,
die Rinder des Sonnengottes nicht zu töten; aber in der Nacht, als er
schlief, ergriffen sie doch einige, schlachteten und brieten sie. Als er er-
wachte, sah er das Unheil, das nicht ungeschehen zu machen war. Die
Strafe folgte bald. Als das Schiff mitten auf dem Meere war, schlug
der Blitz hinein; das Schiff wurde zerstört, die Gefährten kamen alle
um, nur Odysseus rettete sich auf Kiel und Mast und trieb wieder den
gefährlichen Strudeln der Szylla und Charybdis zu. Doch auch diesmal
entkam er glücklich, und auf seinen Schiffstrümmern landete er nach neun
Tagen an der Insel der Nymphe Kalypso.
10. Bei Kalypso. Ohne Schiff, ohne Gefährten mußte er sieben
Jahre auf Kalypsos Insel bleiben. Die Göttin versprach ihm ewige
Jugend und Unsterblichkeit, wenn er bei ihr bleiben wollte; er aber
konnte seine Gemahlin Penelope und seinen Sohn Telemach nicht ber-
geffen, und er bestürmte die Göttin mit Bitten, ihn nach der Heimat zu
entlassen, t/Seine Beschützerin Pallas Athene bat ihren Vater Zeus, er
möge Odysseus' Leidenszeit beendigen und ihn nach Hause zurückführen.
Poseidon, der Odysseus immer noch zürnte, war zu den Äthiopen gegangen;
dessen Abwesenheit benutzten die übrigen Götter, die Rückkehr des Odysseus
zu beschließen. Der Götterbote Hermes wurde zu Kalypso geschickt mit
dem Auftrage, sie solle Odysseus nicht länger znrückhalten.^Ungern hörte
dies die Nymphe; aber sie erlaubte Odysseus, sich ein Schiff zu bauen,
und als es fertig war, versah sie ihn mit Speise und Wein und ließ
ihn abfahren.
11. Schiffbruch und Rettung. Schon war er manchen Tag auf
dem Meere, da kam Poseidon von den Äthiopen zurück, erblickte das
Schiff und stürzte es in die Tiefe. Auf einem Balken rettete sich
Odysseus. Jetzt tauchte aus dem Meere die Göttin Leukothea auf. Diese
gab ihm einen Schleier, der ihn gegen Sturmwind und Wogen schützte.