Full text: Erzählungen aus den Sagen des klassischen Altertums und aus den deutschen Götter- und Heldensagen, Lebensbilder aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte (Teil 1)

26 Erster Abschnitt: Erzählungen aus den Sagen des klassischen Altertums. 
Elfenbein ausgelegt. Wer dieses Bett von der Stelle rücken will, muß 
erst den Fuß des Ölbaumes abhauen." Nun zweifelte Penelope nicht 
länger mehr, daß ihr Gemahl zurückgekehrt sei, und die Freude des Wieder- 
sehens nach so langer Trennung war unbeschreiblich. 
Am andern Tage besuchte Odysseus seinen alten Vater Laertes, 
der ein Landgut auf der Insel bewohnte. Odysseus fand ihn auf dem 
Felde, wie er um ein Bäumchen den Boden lockerte. Am folgenden 
Tage kamen die Verwandten der Werber mit Waffen nach Jthaka, um Rache 
zu nehmen an Odysseus und seinem Geschlecht. Der alte Laertes eröffnete 
den Kampf und tötete durch einen Lanzenwurf den Anführer der Feinde. 
Odysseus und Telemach wollten eben gegen sie losziehen, da trat Athene 
zwischen die Kämpfenden und stiftete Friede und Versöhnung. In der 
„Odyssee" sind die Schiffermärchen der Mittelmeerländer, in der 
„Jlias" die Heldensagen einer griechischen Völkerwandrung ver- 
wertet. I 
V. Einige andre Sagen. 
1. Dädalus und Ikarus. Dädalus von Athen war ein ausge- 
zeichnetet Künstler. Er war der erste, der den Bildsäulen Augen gab, 
ihre Arme in eine bestimmte Gebärde setzte und die Füße in eine Stellung 
brachte, als wollten sie sich bewegen. Daher erzählte das Volk von ihm, 
daß er wandelnde Statuen verfertigt habe. Er kam an die Höfe vieler 
Könige, und überall erwarb er Ruhm und Schätze. Auf der Insel Kreta 
baute er dem Könige Minos das berühmte Labyrinth, ein unterirdisches 
Gewölbe, das so viele sich kreuzende Gänge hatte, daß man sich nicht 
wieder herausfinden konnte. Als er aber bei ebendiefem Könige seine 
Kunst auch zu solchen Dingen hingab, die dessen Herzen entgegen waren, 
zog er sich die Ungnade des strengen Herrschers zu. Er wurde scharf 
bewacht und sollte die Insel niemals wieder verlassen. Das war für 
die Wanderlust des Künstlers ein hartes Urteil. Traurig ging er oft 
mit seinem Sohne Ikarus an den Gestaden des Meeres umher und 
gedachte der Städte und Länder, von denen er durch die weite Wasserflut 
getrennt sei. Am schärfsten aber sahen alsdann seine Augen nach jener 
Seite hin, wo die liebe Vaterstadt Athen lag, und eine unbezwing- 
liche Sehnsucht nach der süßen Heimat erfaßte ihn. Und also sprach er 
eines Tages zu sich selber: „Mag Minos Land und Woge mir ver- 
sperren, der Himmel ist doch noch offen; dorther muß ich meinen Weg 
suchen. Alles besitze der Herrscher, die Lüfte besitzet er nimmer!" Schon 
hatte sein Geist das Mittel erfaßt, wodurch er ein kühner Beherrscher der 
Lust zu werden hoffte. Denn Flügel wollte sich der erfindungsreiche 
Mann verfertigen und dann wie ein Vogel über die Fluten des Meeres 
dahinfliegen.
	        
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