Full text: Sieben Bücher deutscher Dichtungen

—91 
Wiederbringer der freudigen, gottgefallenden Unschuld! 
Todtenerwecker! Vertilger des ewigen Tods! Weltrichter! 
Oder wie deine Menschen dich nennen, du Lamm, das erwürgt wird! 
Höre mein tiefes Gebet, vernimm des Endlichen Stimme, 
Die von dem Staube, worauf dein Blut wird bluten, dir betet. 
Wenn dein Auge nun bricht; die letzte Blässe des Todes 
Über dich, Geopferter, strömt; die Himmet der Himmel 
Nun erzittern und fliehn; nun nur Jehovah mit vollem 
Hingehefteten Blick anschaut den Sterbenden: stärke 
Dann aus der bangenden Nacht mich, in die dein Leben hinabstirbt, 
Stärke, großer Vollender, mich dann, damit ich nicht hülflos, 
Nicht zu bebend unter der Erde Gräber versinke, 
Und, wenn in schwimmender Dämmrung um mich die Schöpfung nun wanket, 
Ich, wie dunkel mir auch das Aug' hinstarret, dich sterben 
15 Sehe! Tod des Sohnes! Du nahest dich, Tod! Von dem ersten, 
Der ein Sterblicher ward, bis hinab zu dem letzten von Adam, 
Dessen jungem Leben der Auferstehung Posaune 
Wegzuathmen gebeut, sie alle wirst du versöhnen; 
Wenn du, noch einmal Schöpfer: Es ist vollendet! nun ausrufst. 
Tod, o Tod des Sohnes! Und du des Geopferten Blut! Heil, 
Heil den erlösten Seelen! Sie kommen und wandeln und jauchzen! 
Ihre Kleider sind hell in des Todten Blute gewaschen! 
Drauf erhebt sich Eloa, vertheilt die Engel der Erde 
Weit um Golgatha her. Auf niederhangender Wolke 
Sammeln sie sich; bedecken die breiten Rücken der Berge; 
Oder schweben über der Ceder und gehen voll Tiefsinn 
Auf den wallenden Wipfeln; er selbst steht über des Tempels 
Höhen: ein weitumkreisendes Heer! Der allmächtigen Vorsicht, 
Welche von fern herrscht, furchtbare Diener! Engel des Todes 
30 Und des Gerichts, der Menschen Hüter, künftiger Christen 
Hüter! Und, weil sie Engel der Märtyrer wurden dem Throne 
Deß, dem der Palmenträger, der Märtyrer blutet, die Ersten! 
Gabriel aber, ihn hatte gesandt zu der Sonne der Mittler, 
Ließ sich mit silbertönendem Flug' auf den strahlenden Tempel 
35 Nieder und stand vor der Vaäter Seelen und sagte zu ihnen: 
Kommt nun näher, ihr Väter der Menschen! Ihr sehet ihn! (Hier wies 
Er mit der bebenden Rechte.) Da trägt der Sündeversöhner 
Gegen den Hügel sein Kreuz. Dieß ist der Hügel des Todes! 
Auf dem höheren dort, der mit zween Gipfeln heraufragt, 
10 Gieng er ins erste Gericht. Von diesem sollt ihr ihn sehen, 
Wenn er, für eure Kinder und euch, sein Leben wird bluten. 
Kommt, Erlöste! Die Enkel der Enkel, die noch die Geburt nicht 
Zu Unsterblichen schuf, er geht, er eilt, er versöhnt sie! 
Feurig sagt es der Seraph. Verstummt vor Wehmuth und Wonne, 
15 Folgen die Väter ihm schon. Sie eilen. Der schnelle Gedanke, 
Der aus des Betenden Seele von Sternen zu Sternen hinaufdenkt, 
Eilet nur eilender! Gabriel führte die schimmernden Schaaren. 
Schon betrat ihr schwebender Fuß den liegenden Olberg.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.