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16. Doktor Martin Luther.
6. Längst hatte Luther die Mönchskutte von sich getan. Nun eut-
schloß er sich auch zu heiraten. Katharina von Bora, eine ehemalige
Nonne, nahm er zum Weibe. Aus dem ehelosen Mönch wurde ein
deutscher Hausvater. Und eine gute Pfarrersfrau war sein „lieber Herr
Käthe", wie er sie scherzend gern nannte. Leicht hatte sie es nicht, für
des Hauses Notdurft zu sorgen; denn der Doktor Martin schenkte Bittenden
mehr, als er selbst entbehren konnte. Gastfreundlichkeit und Mildtätigkeit
sind schon die Kennzeichen dieses ersten evangelischen Pfarrhauses. Trau-
lieh war das Verhältnis zu seinen Kindern. An seinen ältesten Sohn
Hans schrieb er, als dieser vier Jahre alt war, folgenden Brief:
Gnad und Friede in Christo, mein liebes Söhnichen. Ich sehe gern,
daß Du wohl lernest und fleißig betest. Tu also, mein Söhnichen, und
fahre fort; wenn ich heimkomme, will ich Dir einen schönen Jahrmarkt
mitbringen. Ich weiß einen hübschen lustigen Garten, da gehen viele
Kinder innen, haben goldene Röcklein an und lesen schöne Äpfel unter
den Bäumen und Birnen, Kirschen und Pflaumen, singen, springen und
sind fröhlich, haben auch schöne kleine Pferdlein mit goldenen Zäumen
und silbernen Sätteln. Da fragt' ich den Mann, des der Garten ist,
wes die Kinder wären. Da sprach er: es sind die Kinder, die gern beten,
lernen und fromm sind. Da sprach ich: lieber Mann, ich Hab' auch
einen Sohn, heißt Hänsichen Luther: möcht er nicht auch in den Garten
kommen, daß er auch solche schöne Äpfel und Birnen essen möchte und
solche Pferdlein reiten und mit diesen Kindern spielen? Da sprach der
Mann: wenn er gern betet, lernt und fromm ist, so soll er auch in den
Garten kommen, seine Freunde auch, und wenn sie alle zusammenkommen,
so werden sie auch Pfeifen, Pauken, Lauten und allerlei Saitenfpiel haben,
auch tanzen und mit kleinen Armbrüsten schießen. Und er zeigte mir
eine feine Wiese im Garten, zum Tanzen zugericht, da hingen eitel goldene
Pfeifen, Pauken und seine silberne Armbrüste. Aber es war noch frühe,
daß die Kinder noch nicht gegessen hatten. Darum konnte ich des Tanzes
nicht erharren und sprach zu dem Manne: Ach lieber Herr, ich will
flugs hingehen und das alles meinem lieben Söhnlein Hänsichen schreiben,
daß er ja fleißig bete und wohl lerne und fromm sei, auf daß er auch
in diesen Garten komme; aber er hat eine Muhme Leite, die muß er mit-
bringen. Da sprach der Mann: Es soll ja sein, gehe hin und schreibe
ihm also. Darum, liebes Söhnlein Hänsichen, lerne und bete ja getrost,
und sage es Deinen Spielkameraden auch, daß sie auch lernen und beten,
so werdet ihr miteinander in den Garten kommen. Hiermit sei dem all-
mächtigen Gott befohlen und grüße Muhme Lenen und gib ihr einen Kuß
von meinetwegen. Anno 1530. Dein lieber Vater Martinus Luther.