Full text: Deutsche Lebensbilder und Sagen für den Geschichtsunterricht auf der Mittelstufe höherer Mädchenschulen

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zugewendet, und hört nicht, daß die Thüre aufgeht und einige Personen 
eintreten. Erst als eine männliche Stimme ihr zuruft.- „Liebe Frau, die 
Prinzeß Wilhelm ist hier, um sich persönlich nach Ihnen zu erkundigen," 
fährt sie herum und verliert fast die Besinnung bei dem unerwarteten 
Besuche. Aber die hohe Frau spricht so gütig ihr zu, daß sie ihr bald ihre 
Lage schildern kann. Nun wurde für ihre Pflege gesorgt, und sie wurde 
gerettet. 
4. Reicher entwickelte sich noch das Familienleben, als die jungen 
Prinzen (der Kronprinz Wilhelm, Prinz Eitel-Friedrich, Prinz 
Adalbert, Prinz August Wilhelm, Prinz Oskar. Prinz Joachim) 
geboren waren. Der Vater wie die Mutter widmete» sich mit Eingebung 
den elterlichen Pflichten und kannten kein höheres Glück, als mit den Kindern 
zusammen zu sein. Als zu den sechs Brüdern noch eine Tochter hinzukam, 
nannte sie bedeutungsvoll der Vater: Viktoria Luise. Dieser Name er- 
innerte an seine Gemahlin und seine Mutter, sowie zugleich an die unver¬ 
geßliche Königin Luise. 
5. Die Geburt der ältesten Prinzen hatte noch Kaiser Wilhelm I. 
erlebt. Voll hoher Freude hatte er ausgerufen, als er den ältesten Urenkel 
im Arme hielt: Hurra, vier Könige! Später bildeten die Besuche seiner 
Urenkel das ganze Entzücken des greisen Herrschers. Wenn sie in sein 
Arbeitszimmer stürmten und einer den andern überholen wollte, um zuerst 
dem Urgroßvater die Hand zu küssen, mußten sie sich — daran hatte sie 
der Vater schon früh gewöhnt - der Reihe nach aufstellen. Dann wurde 
jeder nach seinem Namen, seinem Alter und seinem Geburtstage gefragt. 
Regelmäßig hieß es dann: „Warum habt Ihr denn Euern jüngsten Bruder 
nicht mitgebracht? Nicht wahr, Ihr seid ihm gewiß wieder zu schnell fort¬ 
gelaufen?" — Große Heiterkeit und endlich, kaum vernehmbar: „Aber 
Urgroßvater, der kann ja noch nicht laufen!" - „Ja so, das hatte ich ver- 
gefsen; und da wolltet Ihr wohl nicht warten, bis er's gelernt hat?" — 
„Nein, nein, nein, aber er kommt auch bald." — Nachdem jeder ein kleines 
Geschenk erhalten hatte, tollten sie wieder davon; denn das litt der Urgroß- 
Vater trotz aller Liebe nicht, daß sie in seinem Zimmer spielten; mit der 
Ordnung wäre es dann bald vorbei gewesen. 
Auch der Vater hielt streng auf Ordnung. Einmal gingen die kleinen 
Prinzen im Schloßhofe, wo an dem Thore eine Schildwache stand, spazieren. 
Es machte ihnen unendlich viel Vergnügen, daß der Soldat vor ihnen 
präsentierte. Nun richteten sie es so ein, daß sie bei ihrem Auf- und Ab¬ 
wandeln stets an der Schildwache vorüber kamen. So mußte der Posten
	        
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