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Wie er nun das Brot eben zerbrach, ging da mit seinem Stabe vorüber des
Kaisers Truchseß, welcher die Aufsicht über die Tafel hatte; der schlug zornig
ben Knaben aufs Haupt, so hart, daß ihm Haar und Haupt blutig ward.
Der Knabe fiel nieder und weinte heiße Thränen.
Das ersah ein auserwählter Held, Heinrich von Kempten, der war
mit dem Herzogssohne aus Schwaben gekommen als dessen Zuchtmeister; heftig
verdroß es ihn, daß man den zarten Knaben so unbarmherzig geschlagen hatte,
und er fuhr den Truchseß mit harten Worten an. Jener sagte, daß er kraft
seines Amtes aller Ungebühr am Hofe mit seinem Stabe wehren dürfe. Da
nahm Herr Heinrich einen Knüttel, und spaltete des Truchsessen Schädel, daß
der Mann tot zu Boden sank.
Unterdessen hatten die Fürsten Gott gedient und gesungen und kehrten
zurück; da sah der Kaiser den blutigen Boden, fragte und vernahm, was sich
zugetragen hatte. Heinrich von Kempten wurde aus der Stelle vorgefordert,
und Otto, von tobendem Zorn entbrannt, rief: „Daß mein Truchseß hier er-
schlagen liegt, schwöre ich an Euch zu rächen, bei meinem Barte!" Als Heinrich
diesen Eid hörte und sah, daß es sein Leben galt, faßte er sich, sprang schnell
auf den Kaiser los und ergriff ihn bei dem langen roten Barte. Damit
schwang er ihn plötzlich auf die Tafel, daß die kaiserliche Krone von Ottos
Haupte in den Saal fiel; und zückte — als die Fürsten, den Kaiser von diesem
wütenden Menschen zu befreien, herzusprangen — sein Schwert, indem er
laut ausrief: „Keiner rühre mich au, oder der Kaiser liegt tot hier?" Alle
traten zurück, Otto, mit großer Not, winkte es ihnen zu; der unverzagte
Heinrich aber sprach: „Kaiser, wollt Ihr das Leben haben, so gebt mir Sicher-
heit, daß ich mein Leben behalte." Der Kaiser, der das Schwert an seiner
Kehle sitzen sah, hob alsbald die Finger in die Höhe und gelobte dem Ritter
bei kaiserlichen Ehren, daß ihm das Leben geschenkt sein solle.
Heinrich ließ, sobald er diese Gewißheit hatte, den roten Bart los und
den Kaiser aufstehen. Dieser setzte sich aber uuverweilt auf den königlichen
(Stuhl, strich sich den Bart, und redete in diesen Worten: „Ritter, Leib und
Leben habe ich Euch zugesagt; damit geht Eurer Wege; hütet Euch aber mir
wieder vor die Augen zu kommen! Ihr seid mir zu ungefüge zum Hofgesinde,
und mein Bart soll nicht wieder unter Euer Schermesser kommen." Da nahm
Heinrich von allen Rittern und Bekannten Abschied und zog gen Schwaben
auf seine Güter; da lebte er einsam und ehrbar.
Danach über 10 Jahre begab es sich, daß Kaiser Otto einen schweren
Krieg führte, jenseits der Alpen, und vor einer festen Stadt lag. Da fehlte
es ihm an Mannen, und er schickte nach den deutschen Landen, wer ein Lehn
vom Reiche trage, solle ihm schnell zu Hilfe kommen, bei Verlust des Lehens.
Nun kam auch ein Bote zu dem Abte von Kempten, ihn auf die Fahrt zu
mahnen. Der Abt sandte wiederum seine Dienstleute und forderte Herrn
Heinrich, als dessen er vor allen bedürftig war. „Ach, edler Herr, was
wollt Ihr thim?" — antwortete der Ritter — „Ihr wißt doch, daß ich bes
Kaisers Gnade verwirkt habe. Lieber gebe ich Euch meine beiden Söhne hin,
und lasse sie mit Euch ziehen." — „Ihr aber seid mir nötiger, als sie beide
zusammen" — sprach der Abt — „ich darf Euch nicht von diesem Zuge frei
lassen, oder ich gebe Euer Land anderen, die es besser zu verdienen wissen.'
— „Traun" — antwortete der Ritter — „ist dem so, daß Land und Ehre auf