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Friedrich (des Weisen) von Sachsen die neue Universität
Wittenberg gegründet worden. Dorthin zog Staupitz den Augustiner-
Luther Pro- Mönch als Professor und, als er ihn einmal zum öffentlichen Leben
feffor und zurückgeführt hatte, nötigte er ihn, beinahe gewaltsam, die Kanzel als
Prediger. Prediger zu besteigen. Damit kam Luther in die ihm recht eigentlich
zusagende Thätigkeit der Seelsorge. Er sammelte durch die Kraft seines
Glaubens und seiner Worte eine zahlreiche Gemeinde, deren Heiligung
ihm Gewissenssache war. Allmählich erwarb er die höchsten gelehrten
Auszeichnungen. Besonders angesehen in damaliger Zeit war die Würde
eines Doktors der heiligen Schrift. Staupitz drängte Luther dazu, dieselbe
anzunehmen; doch dieser wich mit der Erklärung aus, er sei ein schwacher,
kränklicher Bruder, der nicht lange zu leben habe. Endlich ließ er sich
doch dazu bestimmen und der Eid, den er dabei abzulegen hatte, „die
Wahrheit des Evangeliums nach Kräften zu verteidigen", war ihm ein
fester Stützpunkt in späteren Kämpfen. Von diesem Augenblicke an be-
1512 Dr. schästigte er sich eifrig mit dem Grundtexte der Bibel, während er
theologiae. sich vorher in die scholastische Philosophie (II. 156) und, als diese seinen
Geist nicht befriedigte, in die Schriften des Kirchenvaters Augustinus und
der Mystiker (II. 152. 156) vertieft hatte. Das Buch der Bücher er¬
griff ihn mit einer solchen Gewalt, daß ihm daraus allmählich eine ganz
neue Auffassung der Religion erwuchs. Er wurde in der Bibel heimisch
wie kein anderer. Daneben pflegte er aber auch die humanistischen Studien
und trat mit deren Vertretern in Verbindung. Dennoch würde er bei
seiner großen Ehrfurcht für den Papst und die Kirche, wiewohl er mit
Reise nach eigenen Augen die tiefen Schäden derselben bei einer Reise nach Rom
Rom. (1510) in erschreckendster Gestalt wahrgenommen hatte, niemals zu
einem öffentlichen Angriff auf die alten Einrichtungen übergegangen sein,
wenn nicht ein himmelschreiender Mißbrauch ihn in seiner Eigenschaft als
Seelsorger berührt hätte.
§• 7. Seit alter Zeit lehrte die Kirche, daß bei begangenen
Sünden an Stelle der kirchlichen Strafen gute Werke (Almosen,
Fasten, Wallfahrten) treten dürften. Später hatten die Päpste
behauptet, die Heiligen hätten überflüssig viele gute Werke ver¬
richtet; so habe sich ein Schatz davon angesammelt, über den
die Kirche ebenso wie über die unerschöpflichen Verdienste Christi
zu Guusteu anderer zu verfügen hätte. Anfänglich war an
Lehre vom diesen Ablaß (d. h. Erlaß) die Bedingung der Reue geknüpft
Ablaß. worden; allmählich verkauften ihn die Päpste aber für Geld.
Dieser Unfug steigerte sich nach und nach so weit, daß man um
hohe Summen Vergebung für jede, selbst zukünftige Sünde
kaufen konnte und daß priefterliche Lossprechung von Sünden
beinahe nur für Geld zu erlangen war.*) Endlich dehnte
*) Vgl. Freytag: Bilder 2. Bnd. 2. Abt. S. 42. ff.