05 
H. Ch r. Andersen, Was der Mond erzählt. 
Kapitän. „Es war keiner mehr darin," sagte der Koch. — Der Schiffs¬ 
chirurg erzählte hierauf mehrere schreckliche Geschichten von der Wirkung 
des Bisses eines tollen Hundes. Unter anderem berichtete er, daß vor 
etlichen Jahren eine Herrschaft mit ihrem Wagen auf einem Hügel 
unweit Glasgow vor dem Posthanse gehalten habe. Die Pferde waren 
ausgespannt, die Herrschaft hatte sich eine porzellanene Schüssel mit 
Krebsen in den Wagen geben lassen und wollte frühstücken, da kam ein 
toller Hund und biß in ein Rad des Wagens, und der Wagen wurde 
so wütend, daß er mit der Herrschaft davon lief — gerade den Berg 
hinunter; die Leute, die darin saßen, kamen alle um; nur die porzellanene 
Schüssel blieb unversehrt, — weil der Krebs ein kaltblütiges Vieh ist, 
dem der Biß eines tollen Hilndes nichts anhaben kann." 
„Ei, so lüge du!" rief der Kapitän ganz unwillig und wollte von 
seinem Sitze aufstehen. Da sprach einer von den Passagieren: „Herr 
Kapitän, gedulden Sie sich nur noch einige Minuten! Ich sehe, daß 
Sie den Unwahrheiten feind sind; ich will Ihnen eine ganz wahre 
Geschichte erzählen, die ich selbst erlebt habe." Hierauf erzählte der 
Mann von einer Schiffahrt, die er einst gerade in der schlimmsten 
Jahreszeit von England aus uach Kanada gemacht habe. Er beschrieb 
mit großer Lebendigkeit einen Sturm, der das Schiff dem Untergange 
nahe brachte. „Endlich," so fuhr er fort, „nahten wir uns den Bänken 
von Neufundland. Zum ersten Male schien wieder die Sonne, ich stand 
an Bord, schaute nach dem Lande hinüber und spielte mit meinem Ringe; 
er fiel mir hinab ins Meer. Der Ring war mir sehr wert, nicht nur 
wegen des kostbaren Steines, den er enthielt, sondern als Geschenk 
meiner Braut; ich war sehr betrübt über den Verlust. Wir vollendeten 
glücklich unsere Reise und kehrten zufrieden zuriick. Auf der Heim¬ 
fahrt kamen wir wieder in dieselbe Gegend, in der ich meinen Ring 
verloren hatte. Ich fühlte mich gedrungen, die Angel auszuwerfen; 
ein ziemlich großer Fisch biß an; ich ziehe ihn herauf an Bord, schneide 
ihn auf, und — was meinen Sie, daß ich in seinem Leibe gefunden 
habe?" — 
„Nun, den Ring?" — sagte der Kapitän. „Nein, bei meiner Ehre," 
sprach der Passagier, „nichts als die bloßen Eingeweide." 
Der Kapitän lachte, und seine Schlafstnnde war glücklich vorüber¬ 
gegangen. 
28. Was der Mond erzählt. 
H. Chr. Andersen, Bilderbuch ohne Bilder. 
„Es war in einer kleinen Stadt," sagte der Mond, „ich sah es im 
vorigen Jahre, aber das macht nichts, ich sah es ganz genau, heute 
Meyer u. Nagel, Teutsches Lesebuch für Realschulen. AnSg. B. Teil TI. 5