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gäbe von Hameln (August bis November 1806, bei Hannover a. d. Weser)
so schneidig benimmt — der dann in Frankreich, seinem „Mutterlande",
wo er eine ausgebreitete und angesehene Verwandtschaft begrüßte, sich
stets nach „seinem Preußen", seinem „Vaterlande" sehnt, bis er es
wieder betritt — den aber nun hier wiederum die innere Unruhe ver¬
zehrt, so daß er noch einmal versucht, in Frankreich, bei den Sei¬
nen, Wurzel zu fassen, doch mit dem gleichen negativen Erfolge: „Dich
drückt die Lust, in der du atmest; fleuch!" und der nun abermals —
nachdem er, statt Griechisch und Lateinisch an einem dunkeln Provinzial-
lyceum zu lehren, in nächstem Verkehre mit Germaine v. Stasl und
A. W. v. Schlegel unvergeßliche Eindrücke aufgenommen — zurückkehrt
dahin, wo er „Liebe gesunden und genossen", nach Preußen, und zuletzt,
nach den Freiheitskriegen, deren Geräusch ihn bereits 1813 aus Berlin
in die Einsamkeit eines Landaufenthaltes verscheucht hatte, sich verzweifelnd
entschließt, gänzlich aus Europa zu entfliehen! Mit Recht antwortete er
den Freunden, die ihn beglückwünschten, da er ja diesseits und jenseits
des Rheins eine Heimat fände: „Es verhält sich anders. Wo auch
ich sei, entbehr' ich des Vaterlandes! Dort ist der Boden mir, und dort
die Menschen fremd, drum muß ich immer mich sehnen" — und nicht
widersprach er, als sie ihn bei dem Namen seines eigenen Mürchenhelden
„Schlemihl" zu nennen anfingen. Doch alles ward anders und plötzlich
gut, als 1819 Eduard Hitzig triumphierend an Fouque, der seit 1807
zu Chamissos nächsten Freunden gehörte, schreiben konnte:
-Za, Freund! Schlemihl
Entbehrt nicht mehr des Schattens — hat ihn dreifach:
nämlich Amt, Haus und Frau; und Chamisso stimmte in Versen, gleich¬
falls an Fouquä gerichtet, freudig ein:
Den Schlemihl genannt sie hatten,
Reich in seiner Schatten Zier
Gönnt er jetzt von seinen Schatten
Strafend einen Schatten Dir.
Seine am Genfer See auf de la Fopes Rat begonnenen botanischen
Studien, die er in Berlin durch anatomische und mineralogische Studien
ergänzte, hatten seinem Leben und seiner Thätigkeit die entscheidende Rich¬
tung gegeben und ihm den Weg zu Amt und Würden gebahnt, der ihn
auch schnell zu Glück und innerem Frieden führte. Das festeste Band
aber zwischen ihm und Deutschland knüpfte sich am spätesten. Es war
im Jahre 1829, als Chamisso, bereits achtundvierzig Jahre alt, an de la
Foye, der längst in die alte Heimat zurückgekehrt und in Caen (am Kanal,
westlich der Seinemündung) Akademiker geworden war, schreiben durfte:
„Ich glaube fast, ich sei ein Dichter Deutschlands .... Ich finde An¬
erkennung, ich weiß nicht wie ... . Meine Gedichte finden Nachhall,
Dr. Saure, Deutsches Lesebuch. Ausgabe A. Teil V. 34