10. Siegfried und Kriemhild.
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Aber wer wagt es, die Hand gegen diesen Helden aufzuheben, wer
möchte so das heilige Recht der Gastfreundschaft brechen? — das ist der
grimme Hagen, der jede Beleidigung seiner Königin wie seine eigene
empfindet. Aber im ehrlichen Kampfe könnte er den herrlichen Helden
nicht überwinden; mit finsterer Entschlossenheit greift 'er zu Hinterlist
und Meuchelmord. Er veranstaltet einen Kriegszug, um die geplante
Untat zu vollführen. Kriemhild, der ihr rasches Wort längst leid ge-
worden ist, glaubt, daß auch Brunhild verzeihen und vergessen werde.
Jetzt bangt sie um des geliebten Mannes Leben. Und Hagen vertraut
sie die Sorge an. „Habe acht auf meinen Mann," bat sie, „wenn er
sich zu weit unter die Feinde wagt? Leicht könnte ihn hinterrücks einer
den Speer in die verwundbare Stelle stoßen. Ein rotes Kreuzlein von
Seide will ich auf des Helden Gewand sticken, damit mir deine Hand
desto sicherer den Gatten beschirmen kann." So hilft die Liebe selbst zu
des Geliebten Untergang. Nun bedarf es erst gar keines Krieges, um
dem Helden den Untergang zu bereiten. Eine fröhliche Jagd wird an-
gesagt. Der glücklichste Jäger ist der starke Siegfried. Sogar einen
Bären hat er lebendig gefangen und bringt ihn zum Staunen der Jagd-
genossen herbei. Beim fröhlichen Jagdeffen fehlt der Wein. Absichtlich
hatte ihn Hagen zurückgelassen. Er schlägt vor, an einer nahen Quelle
möchten die Herren ihren Durst löschen. Ein Wettkampf wird zwischen
Gunter und Siegfried veranstaltet. Siegfried nimmt noch seine Waffe
mit, kommt aber doch noch vor Gunter am Quell an. Höflich wartet
er, bis der König herankommt und trinkt. Heimlich trägt Hagen jetzt die
Waffen beiseite.
Nun späht er nach dem Kreuze dort an des Kühnen Jagdgewand!
Dann, als sich Siegfried zum Trünke herniederbeugt, durchsticht Hagen
den Arglosen von hinten mit dem Speere. Aufspringt der todwunde Held,
den flüchtigen Mörder holt er ein, und mit dem Schilde, den er auf-
gerafft hat, schlägt er ihn zu Boden. Zu gut aber hat Hagen getroffen,
bald schwinden ihm die Kräfte. Bittere Vorwürfe machte er den Bur-
gundenfürsten, die seine Treue mit so bösem Undank ihm lohnen.
„Ich hals euch immer treulich; seht meinen Lohn nun an!
Ihr habet euern Freunden gar bösen Dienst jetzund getan!"
Doch des sterbenden Helden letzter Gedanke ist die geliebte Frau:
Ihr zuliebe entschließt er sich zu einer Bitte an seine Mörder. „Mich
kümmert nichts so schmerzlich als Frau Kriemhild, mein liebes Weib."
Die Blumen und das Gras färbte des Helden Blut. Den Toten legten
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