Full text: Griechische und römische Sagen und Erzählungen, Deutsche Sagen, Lebensbilder aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte (Teil 1)

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II. Deutsche Sagen, 
Hinterhalt und überfielen den Herrn mit frechen Händen, daß sie ihn fingen und 
schlügen. Als Herr Heinrich diesen Treubruch geschehen sah, ließ er Baden 
und Waschen, sprang aus dem Zuber, nahm den Schild mit der einen und 
sein Schwert mit der anderen Hand und lief, wie er war, unter die Menge 
der Feinde. Kühn schlug er unter sie, tötete und verwundete eine große Menge 
und machte sie alle flüchtig. Darauf löste er den Kaiser aus seinen Banden, 
lief schnell zurück, legte sich in den Zuber und badete nach wie vor. 
Als Otto wieder zu seinem Heere kam, erkundigte er sich, wer fein nn- 
bekannter Retter gewesen wäre; zornig saß er im Zelt aus seinem Stuhle und 
sprach: „Ich war verraten, wo mir nicht zwei ritterliche Hände geholfen 
hätten; wer aber den Mann kennt, führe ihn zu mir, daß er reichen Lohn 
und meine Huld empfange; kein kühnerer Held lebt hier noch anderswo." 
Nun wußten wohl einige, daß es Heinrich von Kempten gewesen war; 
doch fürchteten sie den Namen dessen auszusprechen, dem der Kaiser den Tod 
geschworen hatte. „Mit dem Ritter", antworteten sie, „steht es so, daß 
schwere Ungnade auf ihm lastet. Möchte er deine Huld wiedergewinnen, fo 
ließen wir ihn vor dir sehen." Da nun der Kaiser sprach: „Und wenn 
er ihm gleich seinen Vater erschlagen hätte, solle ihm vergeben sein", nannten 
sie ihm Heinrich von Kempten. Otto befahl, daß er alsbald hergebracht 
würde; er wollte ihn aber erschrecken und übel empfangen. 
Als Heinrich von Kempten hereingeführt war, gebürdete der Kaiser sich 
zornig und sprach: „Wie trauet Ihr Euch, mir unter die Augen zu treten? 
Ihr wißt doch wohl, warum ich Euer Feind bin, der Ihr meinen Bart ge- 
rauft und ohne Schermeffer geschoren habt! Welch hochfahrender Übermut hat 
Euch jetzt hierhergeführt?" „Gnade, Herr," sprach der kühne Ritter, „ich 
kam gezwungen hierher. Mein Abt, der hier steht, gebot es bei schwerer 
Strafe. Gott sei mein Zeuge, wie ungern ich diese Fahrt getan. Aber meinen 
Diensteid mußte ich halten. Wer mir das übelnimmt, dem lohne ich so, daß 
er setzt letztes Wort gesprochen hat." Da begann Otto zu lachen: „Seid mir 
tausendmal willkommen, Ihr auserwählter Held! Mein Leben habt Ihr ge¬ 
rettet, das mußte ich ohne Eure Hilfe lassen." So sprang er auf, küßte ihm 
Augen und Wangen. Von Feindschaft war keine Rede mehr: der hochgeborene 
Kaiser lieh und gab ihm großen Reichtum und brachte ihn zu Ehren, von 
denen man lange erzählt hat.
	        
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