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zehnte Einhalt getan. 1906 stand Österreich in Algeciras fest auf
Deutschlands Seite. Deutschlands Nibelungentreue verhinderte einen
Angriff auf Österreich, als Österreich die ihm 1878 zur Besetzung
überladenen Gebiete Bosnien und Herzegowina sich einverleibte und
deswegen ein Krieg mit Serbien und Montenegro, hinter denen
Rußland stand, drohte. Auch nach den zwei Balkankriegen, die ein
für Österreich sehr unerwünschtes Anwachsen Serbiens zur Folge
hatten, schreckte Deutschlands Treue von einer ernstlichen Bedrohung
der Monarchie ab. Es war der letzte Sieg des Friedens.
6. Balkanhalbinsel. Diese einst ganz außerhalb des Gesichts-
krei-ses der Abendländer gelegenen Gebiete „hinten weit in der
Türkei" sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr in den Vorder-
grund getreten.
a. Russisch-türkischer Krieg 1877 —1878. Das türkische
Reich siechte schon lange dahin. Die notwendigen Reformen, so oft sie
auch in Aussicht gestellt wurden, kamen nie zur Ausführung. Es
war doch nicht bloß die Schuld der verschwenderischen Hoshaltung
und der allgemeinen Mißwirtschast. Der von seinen christlichen
Untertanen und einzelnen Großmächten bedrohte Staat brauchte
Soldaten und Geld für die Kriegsbereitschaft und hatte darum nie
Geld sür die nötigen Maßregeln zur inneren Hebung des Reichs.
Rußland seinerseits schürte unter der Hand die Unzufriedenheit und
suchte eine Gelegenheit zur Einmischung. Ein Ausstand in Bulgarien
wurde mit argen Greueln niedergeschlagen. Darauf erklärten Ser-
bien und Montenegro dem Sultan Abdul Hamid II. (1876—1909),
der in dieser Zeit an der Stelle seines abgesetzten Vorgängers auf
den Thron erhoben wurde, den Krieg. Die Türken rückten aber
siegreich in Serbien ein und brachten das Land in schwere Bedräng-
nis. Da griff Rußland selbst zum Schwert (1877). Der Ansang
war für Rußland ganz günstig. Dank der energielosen türkischen
Heeresleitung drangen die Russen ohne große Schwierigkeit über
die Donau und über den Schipkapaß im mittleren Balkan.
Aber heiße Kämpfe folgten nach. In Strömen floß das Blut am
Schipkapaß, über den die Türken den Feind zurückzuwerfen suchten.
Der tapfere Osman Pafcha, der sich in Plewna eine starke
Festung selbst geschaffen hatte, wies wiederholt in siegreichen
Kämpfen die russischen Angrisse ab. Die Russen mußten den
Fürsten Karl von Rumänien um seine Unterstützung angehen
und Osman in Plewna förmlich belagern. Als dem tapferen Ge¬
neral die Lebensmittel ausgingen, versuchte er sich mit seinem Heer
durchzuschlagen; da es nicht gelang, mußte er sich (Dezember 1877)
ergeben. Die Sieger erwiesen dem General, der die Ehre des türki-
schen Heeres so glänzend gewahrt hatte, alle Ehren. Aber nun
brach der türkische Widerstand rasch zusammen. Bis vor Konstan-
tinopel drangen die siegreichen Russen. Da fügte sich die Türkei
den herben Friedensbedingungen, die der Türkei in Europa fast nur
die Umgebung von Konstantinopel gelassen hätten. Jetzt legte sich
England ins Mittel. Es war entschlossen, Rußland nicht zum
völligen Herrn des Balkans werden zu lassen, und müßte es darüber
zu den Waffen greifen. Rußland scheute doch die Gefahr dieses