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Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I., küßte noch die bleichen
Lippen seiner Mutter und ging dann meinend in den Garten.
Hier pflückte er Rosen und Eichenblätter und wand einen Kranz
daraus. Diesen legte er aus das Sterbebett seiner Mutter.
Ihr Leichnam wurde nach Berlin gebracht und in einer
schönen Grabhalle zu Charlottenburg beigesetzt, und Tausende
wallen jährlich dahin, um die Grabstätte ihrer geliebten Königin
zu sehen. Aus einem Sockel ruht, in Marmor nachgebildet, die
edle Gestalt, als ob sie schliefe.
§ 45* Napoleons Zug nach Rnszland.
Im Jahre 1812 unternahm Napoleon mit einem gewaltigen
Heere einen Zug nach Rußland. Die Rheinbund surften mußten
Truppen stellen, und auch 20000 Preußen hatten Napoleons
Fahnen zu folgen.
Die Russen hatten sich ganz in das Innere des Landes
zurückgezogen, Kosakenschwärme überfielen beständig die sranzö-
fischen Truppen, die, des Landes unkundig und des strengen
Klimas ungewohnt, große Beschwerden litten. Deshalb konnte
das große Heer auch nur langfam vorwärts kommen.
In der Nähe von Moskau wurde eine Schlacht geliefert,
die Napoleon gewann. Die Russen zogen sich zurück, und das
französische Heer rückte in Moskau ein. Napoleon bezog den
Kreml, aber in der Nacht, als die Soldaten sich von den vielen
Anstrengungen erholen wollten, brach an mehreren Stellen zu¬
gleich Feuer aus. Jetzt bot Napoleon dem Kaiser den Frieden an,
aber Alexander lehnte ihn ab. So mußte Napoleon sich zum
Rückzug entschließen. Das war ein trauriger Weg! Die Kälte
nahm immer mehr zu, dabei fehlte es an Kleidungsstücken und
an Nahrungsmitteln. Hungrig und zerlumpt schlichen die Fran-
zosen daher, immer von den Kosaken bedrängt. Am schlimmsten
aber war der Übergang über die Beresina. Die Soldaten,
denen die Russen aus den Fersen waren, drängten im wilden
Ungestüm über die ausgeschlagenen Brücken. Diese brachen unter
der Last zusammen, und Tausende fanden ihren Tod in den
Wellen. Napoleon aber war glücklich an das jenseitige Ufer ge-
langt und suchte sobald als möglich nach Paris zu kommen.
Um das Schicksal seines Heeres kümmerte er sich nicht.
Von 500 000 Mann, die ausgezogen waren, erreichten nur
30000 die Grenze, und dieser kleine Rest des gewaltigen Heeres
bildete in seinem Elend einen unsagbar traurigen, erschütternden
Anblick.
Aorks Absall. Die 20000 Mann, die Preußen hatte
stellen müssen, standen unter dem Oberbefehl des Generals Jork
Rotzbach, Lebensbilder. 2. Aufl. 7