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Das Grossherzogtum Hessen.
Hessen betrug etwa 150 Quadratmeilen mit 629 359 Einwohnern. Es
umfasste -die verschiedenartigsten Bestandteile, so Oberhessen mit mehr
norddeutschem Charakter, Eheinhessen, das lange unter Frankreich
gestanden hatte, und standesherrliches Gebiet. Diese zu einem ein¬
heitlichen Staate zu verschmelzen und in diesem die grossen Kriegs¬
schäden zu heilen, das war die Aufgabe, die Ludwigs I. harrte
und die er vortrefflich zu lösen verstand. Es erfolgte die Trennung
der Verwaltung von der Justiz, die Einführung eines neuen Gesetz¬
buches, das nach dem Muster des österreichischen bearbeitet war, die
Abschaffung aller Staatsfronen (1816) und das Gesetz über die Ab¬
lösbarkeit der Zehnten und die Aufhebung der Leibeigenschaft.
Ausserdem erhielt Hessen eine zeitgemässe Verfassung. Am 16. Fe¬
bruar 1819 erliess das hessische Ministerium eine Bekanntmachung,
in der das Versprechen des Grossherzogs kundgegeben wurde, es solle
die erste ständische Versammlung im Mai 1820 stattfinden und vor
diesem Zeitpunkt eine Verfassungsurkunde bekannt gemacht werden.
Diese wurde dann auch durch das Edikt vom 18. März 1820
publiziert. Da sie ohne Mitwirkung der Stände angefertigt war, so
erregte sie Unzufriedenheit. Darauf liess Ludwig erklären, dass das
vorliegende Verfassungsedikt bloss die Vorschrift sei, nach der sich
die Stände zu benehmen hätten, die Verfassung selbst aber solle
nach dem Willen des Grossherzogs erst in Beratung-mit den Ständen
vollendet werden. Am 27. Juni 1820 eröffnete Ludwig in Person die
Versammlung der Stände1) mit einer Thronrede. Am 21. Dezember 1820
konnte den Ständen die von ihnen beratene Verfassung, nachdem sie
x) Die erste Kammer setzt sich zusammen aus: a. den Prinzen des
grossherzoglichen Hauses; b. den hessischen Standesherrn d. h. den Häuptern
der Familien der Fürsten von Solms-Braunfels, Solms-Hohensolms-Lich,
Isenburg - Birstein, Isenburg - Büdingen, Isenburg-Wächtersbach, Stollberg-
Wernigerode, Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, Leiningen, der Grafen
von Solms-Laubach, Solms - Rödelheim, Isenburg - Meerholz, Stolberg-Rossla,
Schlitz gen. von Görtz, Erbach-Erbach, Erbach-Fürstenau, Erbach-Schönberg
und Leiningen-Westerburg; ferner aus dem Senior der Familie Riedesel zu
Eisenbach; c. aus dem katholischen Landesbischof, dem protestantischen Prä¬
laten und dem Kanzler der Landesuniversität; d. aus 2 Mitgliedern, welche
der in Hessen genügend mit Grundeigentum angesessene Adel aus seiner
Mitte auf je 6 Jahre wählt; e. aus höchstens 12 ausgezeichneten Staats¬
bürgern, die der Grossherzog auf Lebenszeit zu Mitgliedern beruft.
Die zweite Kammer besteht aus 50 Abgeordneten, die aus indirekter
geheimer Wahl hervorgehen.
Über die weiteren Verhältnisse ist „de Beauclair, das Verfassungs¬
und Verwaltungsrecht des Deutschen Reiches und des Grossherzogtums
Hessen“ zu vergleichen.