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In der Höhle fand Odysseus den Stamm eines mächtigen Oliven-
baumes, den der Kyklop zu einer Keule bestimmt hatte. Odysseus, dem
der ganze Stamm zu schwer war, hieb ein Stück davon ab, spitzte es an
einem Ende zu und härtete es im Feuer. Als der Kyklop heimgekehrt
war und sein Abendbrot zu sich genommen hatte, schenkte ihm Odysseus
aus dem Schlauche so viel Wein ein, daß er betrunken wurde und in einen
festen Schlaf sank. Darauf hatte Odysseus gewartet; er zog den Pfahl
hervor, hielt die Spitze ins Feuer, daß sie ringsum glühte, stieß dem Kyklopen
dies feurige Ende in sein einziges Auge und drehte es in demselben herum,
baß es zischte, als wenn der Schmied glühendes Eisen in Wasser kühlt.
Da heulte und schrie Polyphemos fürchterlich, daß die anderen Kyklopen
herbeikamen und fragten, ob ihn jemand mit List oder Gewalt töte. Poly¬
phemos, dem Odysseus, als er ihn bei der ersten Begrüßung nach seinem
Namensragte, gesagt hatte, er heiße „Niemand", rief: „Niemand tötet
mich mit List und Gewalt!" Nun schalten sie ihn, daß er sie aus dem
Schlafe geweckt, obgleich niemand ihm etwas zu Leide thue. Polyphemos
lag also da in seinem Blute und litt großen Schmerz.
Aber wie sollte Odysseus mit den Seinigen aus der Höhle kommen,
da sie den gewaltigen Stein nicht wegwälzen konnten? Da hals dem Odysseus
eine neue List. Er band je drei Schafe von der Herde des Polyphemos
nebeneinander und befestigte unter dem mittelsten Tiere je einen seiner
sechs Gefährten. Er selbst suchte sich den stärksten Widder aus, klammerte
sich unter dem Bauche desselben fest und ließ sich, als der Kyklop am
andern Morgen die Herde austrieb, so mit den Seinigen aus der Höhle
tragen.
Wie Odysseus richtig vermutet hatte, setzte sich Polyphemos beim Aus¬
lassen der Herde an den Eingang der Höhle und befühlte nur deu Rücken
jedes Tieres, ob nicht ein Fremdling darauf sitze, um aus der Höhle zu
entschlüpfen. Von der List des Odysseus merkte er selbst dann nichts, als
ber Widder, ber an der Last des Odysseus schwer zu tragen hatte, wider
seine Gewohnheit als ber letzte ben Stall verließ. Als alle Tiere im Freien
waren, setzte Polyphemos sorgsam ben Stein wieder vor den Eingang der Höhle.
Unterdessen aber hatte Odysseus den Widder losgelassen, die Gefährten von
ihren Banden gelöst und war eiligst mit ihnen nach dem in einer Bucht
verborgen liegenden Schisse geeilt, aber nicht ohne einige Schafe mitzu¬
nehmen. Schnell bestiegen alle das Schiff und stießen vom Lande. Als
man eine Strecke weit vom Ufer entfernt war, da rief Odysseus dem
Kyklopen höhnende Worte zu und sagte: Wenn man dich fragt, wer dir
das Auge geblendet, so sage: „Odysseus hat es gethan, des Laertes Sohn
aus Jthaka, der Zerstörer von Troja!" Aber dieser Hohn sollte dem Odysseus
teuer zu stehen kommen. Denn wenn auch das gewaltige Felsstück nicht
traf, welches der Kyklop nach dem Schiffe warf, so flehte doch Polyphemos