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schlecht erfüllte. Schwach und kränklich, konnte der junge Demosthenes an
den körperlichen Übungen seiner Altersgenossen nicht teilnehmen, weshalb
er mancherlei Spöttereien ertragen mußte. Dazu hatte er körperliche Man-
gel und Gebrechen, die ihm gerade die Laufbahn eines Redners, die er
nachher betrat, gänzlich zu verschließen schienen. Er hatte eine sehr schwache
Brust, stotterte und konnte den Buchstaben R nicht aussprechen. Als aber
in ihm der Geist geweckt worden war, überwand er mit der größten Aus-
dauer und Standhaftigkeit alle Hindernisse der Natur und Übeln Gewohn-
heit. Er hörte einst den Redner Kallistratos sprechen, und seine Rede
machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er den Entschluß faßte sich selbst
der Redekunst zu widmen. Er ging sofort mit allem Ernste an die Arbeit.
Als er sich für hinreichend vorbereitet hielt, trat er zunächst in seiner eige¬
nen Sache auf, indem er seinen treulosen Vormund, der sein Vermögen
sehr geschädigt hatte, anklagte. Den Prozeß gewann er zwar, erhielt aber
nur einen kleinen Teil seines väterlichen Vermögens. Dieser Erfolg reizte
ihn nunmehr auch öffentlich vor dem ganzen Volke aufzutreten; aber ein
zweimaliger Mißerfolg zeigte ihm, daß er sich viel zu früh hervorgewagt,
und daß ihm noch sehr viel fehle, um mit seinen Reden Anklang zu finden.
Er wurde beide Male verlacht und ausgepfiffen, da zu den vorher erwähn-
ten Mängeln seiner Natur noch ein ganz fehlerhaftes Geberdenspiel kam.
Einem Freunde, der Schauspieler war, klagte er seine Not, und dieser
machte ihn auf seine Fehler aufmerksam. Ein anderer hätte sich vielleicht
durch solche Erfahrungen abschrecken lassen, aber nicht Demosthenes. Er
ging mit frischem Eifer von neuem an die Arbeit, und mit bewundernswür-
diger Ausdauer erreichte er sein Ziel.
Er baute ein unterirdisches Gemach, um daselbst die nötigen Übungen
anzustellen. In dieses stieg er täglich hinab, um sich daselbst im Geberden-
spiel zu vervollkommnen mtd seine Stimme zu üben; ja oft soll er zwei
bis drei Monate zum Zwecke solcher Übungen daselbst zugebracht haben,
nachdem er sich die eine Hälfte des Kopfes kahl geschoren, so daß er dort
zu bleiben gezwungen war, wenn er auch hätte gehen wollen. Er stellte sich
vor einen großen Spiegel, um sein Geberdenspiel in demselben beobachten,
regeln und verbessern zu können. Um sich das Stottern abzugewöhnen,
nahm er kleine Kieselsteine in den Mund und sprach so einige Worte, bis
er sie ohne Anstoß hersagen konnte. Seine Stimme kräftigte er, indem er
während des Laufens, und während er eine Anhöhe erstieg, einige Verse
oder Sprüche hersagte. Auf solche Weise wußte Demosthenes alle Hinder-
nisse zu besiegen, und als er nun wieder öffentlich vor dem Volke auftrat,
wurde ihm der allgemeinste Beifall zuteil. So ausgerüstet mit der gewal-
tigen Kraft der Beredsamkeit, sollte er bald Gelegenheit finden dieselbe anzu-
wenden. Die Absicht des Königs Philipp von Makedonien Griechenland unter
seine Botmäßigkeit zu bringen, offenbarte sich durch seine Einmischung in