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teste kühngelegener Raubnester frecher Ritter oder durch die ernsten Ruinen
einst stolzer Burgen edler Geschlechter und mächtiger Dynastien".
Bon den Ortschaften dieser Stromstrecke seien folgende hervorgehoben.
Etwa 500 Schritt oberhalb des Binger Lochs ragt wie eine Geisterresidenz, von
schäumenden Wellen umbraust, aus dem Strome der Mäuseturm, der Sage
nach vom Bischof Hatto von Mainz (914) erbaut.*) Am Eingänge des Binger
Lochs liegt Bingen, zu Hessen gehörig; nebenan durch die Nahemündung ge
trennt, das preußische Bingerbrück mit sehr lebhaftem Berkehr.
An der linken Talwand, zur Rheinprovinz gehörig, treffen wir zunächst
Schloß Rheinstein, wohl die schönste der Rheinburgen, durch Neubau im
mittelalterlichen Stil aus den Trümmern wieder erstanden, dem preußischen
Königshause gehörig; dann weiter Bacharach mit sehr altertümlichem Gepräge
und im Mittelalter durch seinen Weinhandel weit berühmt. Auf einer Quarz-
riffinfel gegenüber von Caub die Pfalz, eine mittelalterliche Zollseste und
Geburtsstätte vieler Pfalzgrafen: weiter abwärts das reizende Oberwesel,
vormals, wie viele andere Rheinstädte, eine freie Reichsstadt. Gegenüber dem
Lurleiselsen St. Goar, überragt von den Trümmern der Burg Rheinfels,
der größten Ruine am Rhein. Dann folgt die alte Stadt Boppard, deren
Gründung bis in die Kelten- und Römerzeit zurückreicht, ehedem ebenfalls freie
Reichsstadt, und bei Rhens der wiederhergestellte Königsftuhl, (1338 Kur-
verein, Wahlstätte mehrerer Kaiser wie Heinrich VII., Ruprecht und Karl IV.,
1496 zum letztenmal Tagstäite der Kurfürsten), endlich gegenüber der Lahn-
mündung Schloß Stolzenfels, von Preußens Herrschern zum prächtigen
Königsschlosse neu geschaffen. Dann Koblenz, rechts der Moselmündung.
Auf der rechten Stromseite gegenüber von Bingen liegt zunächst das
weinreiche Rüdesheim (Zahnradbahn auf den Niederwald), "dann das durch
seine Rotweine berühmte Aß m a n n s h a u f e n, dann weiter abwärts Lorch
am Ausgange des Wispertals (der kühle „Wisperwind"!), weiter Caub, bekannt
durch Blüchers Rheinübergang am 1. Januar 1814; hinter dem Lurleiselsen, St. Goar
gegenüber, St. Goarshausen, von Burgruinen überragt („Katz" und „Maus"),
endlich an der Lahnmündung Oberlahnstein und die wiederhergestellte Burg
Lahn eck, durch Goethes „Geistergruß" gefeiert.
Der nördliche Teil des Durchbruchstales beginnt mit
der Talweitung des N e n w i e d e r Beckens. Auf seinem Tiefboden
entwickelte sich frühzeitig Kolonisation und Kultur, die von den benachbarten
Höhen um so nachhaltiger nach dem Becken strebte, als der Boden große Frucht-
barkeit aufwies. Hier sollen schon die Kelten in zahlreichen Ortschaften ge-
wohnt haben. Die Römer erkannten die Wichtigkeit dieses zentralen Beckens
für die Beherrschung des Mittelrheins und legten das feste „Confluentes"
(Koblenz) an. Seit Cäsars Zeiten ist K. fast in jedem Jahrhundert bis zur
französischen Revolution hin ein Tummelplatz und eine Kampfstätte für feind¬
liche Heere gewesen.
Der Rhein hat von Koblenz an seine Wassermasse durch Lahn
und Mosel erheblich verstärkt, ist nun auf der ganzen weiten Strecke
sehr tief und für die Schiffahrt ohne nennenswerte Hindernisse. Ter
Strom fließt in einem weit bequemeren und breiteren Tal als ans der
erst beschriebenen Laufstrecke. Aus beiden Seiten konnten ohne Schwierig-
feiten Straßen und Wanderwege angelegt werden. Das Durchbruchs¬
tal zeigt häufig kleine Talweitungen, und die Landschaft trägt einen
offen ausgebreiteten Charakter.
Bon den Siedelungsstätten gehören in dieser Talstrecke alle der Rhein-
Provinz an. Nahe am Ausgange des Beckens liegt der neuen, freundlichen
*) Die Sage vom Mäuseturm ist eine wandernde, knüpft sich z B. mit
gleicher Färbung und Tendenz an einen ^rurm am Goplosee in Posen. Die
Erklärung Maul- oder Zollturm (vom altdeutschen muta = Zoll) ist ebenso¬
wenig sicher als die Deutung Wachlturm (vom altdeutschen musen = spähen).