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Hier wollte er mit seinem mächtigen Heere den Winteraufenthalt
nehmen. Aber bereits in der folgenden Nacht brachen an verschie¬
denen Stellen der Stadt gräßliche Feuersbrünste aus; in wenigen
Tagen war die große, reiche Stadt von den Flammen vernichtet. Die
Franzosen mußten den Rückzug antreten, verfolgt von den Scharen
der wilden Kosaken. Ein auch für jene Gegenden strenger Winter
(32° —) trat ein, und von Eis und Schnee hatten die fliehenden
Soldaten arg zu leiden. Ihre Kleider waren zerrissen; kein Stückchen
Brot war zu finden, um den nagenden Hunger zu stillen. Viele
Tausende erfroren oder verhungerten, Taufende wurden von dem
Schwerte der Ruffeu erschlagen oder fanden ihren Tod in den Fluten
der Berefina. Napoleon verließ heimlich das Heer und floh in
einem Schlitten nach Paris. Der Herr hatte gerichtet, und seine
Hand hatte den übermütigen Kaiser schwer getroffen.
Preußens Erhebung. Napoleons Macht war vernichtet; die
Morgenröte der Freiheit brach an.
Der preußische General Aork. der mit 20000 Mann preu¬
ßischer Hilfstruppen Liv- und Kurland erobern sollte, schloß mit dem
russischen General Diebitfch den Vertrag von TauroggenJ), nach
welchem die preußischen Corps die Feindseligkeiten gegen Rußland
einstellten. Zwar mußte König Friedrich Wilhelm III., der in Pots¬
dam von den Franzosen umstellt war, diesen Vertrag mißbilligen und
das kriegsrechtliche Verfahren gegen Jork einleiten. Allein die könig¬
lichen Boten wurden von den Russen zurückgehalten, und so behielt
Aork das Kommando in der Provinz Ostpreußen.
Um freier handeln zu können, verließ der König seine Haupt¬
stadt und begab sich nach Breslau. Von hier erließ er am 3. Fe¬
bruar 1813 einen „Ausrus" zur Bildung freiwilliger
Jägerkorps, und ein Erlaß vom 9. Februar ordnete die
allgemeine Wehrpflicht für die Dauer des Krieges an. „Der
König rief, und alle, alle kamen!" Aus allen Gauen Deutschlands
strömten Freiwillige zu den Waffen, Männer, Greise und Jünglinge^
Vornehme und Geringe; sie alle wollten ihr Leben für die Freiheit
des Vaterlandes opfern. Auch zahlreiche Freikorps bildeten sich, so
das Lützow'sche mit dem Totenkopse vor der Mütze und der schwarzen
Umform.2) Was noch nie und nirgends erreicht worden ist, das ver¬
mochte der kleine, von den Feinden so arg ausgesogene preußische
Staat im Jahre 1813: nicht weniger als 275 000 Streiter, sämtlich
Landeskinder, brachte er unter die Fahne, obgleich er damals nur
5 Millionen Einwohner zählte, von 17 Einwohnern war einer Soldat.
In Littauen, östl. von Tilsit.
Dem Ltttzow'schen Freikorps gehörte auch die 21jährige Helden-
jungfrau Eleonore Prohaska aus Potsdam als Jäger an. In dem Ge¬
fechte an der Görde wurde sie tödlich verwundet und starb am 5. Oktober
1813 in Tannenberg. Ihre Beerdigung erfolgte am 7. unter großen
militärischen Ehren.