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des Bettes hinausragte. Theseus, der von der Gewohnheit des
Prokrustes gehört hatte, kehrte mutig bei ihm ein und ließ sich
ruhig nach dem Schlafgemache führen. Als der stattliche Held
dort das kurze Bett erblickte, auf welches er sich niederlegen
sollte, sagte er spöttisch: „Ich wundere mich sehr, mein lieber
Gastwirt, daß du mir da ein Bett anbietest, das wohl einem
Zwerg zur Lagerstätte dienen mag, für Männer von deiner und
meiner Größe aber doch gar nicht taugt. Sieh nur, um wieviel
dir selber das Bett zu kurz ist." Und plötzlich umschlang er den
Frevler, warf ihn auf das Lager nieder und schnürte ihn dort
fest, daß er sich nicht mehr regen konnte. Dann hieb er auch ihm
die weit hervorstehenden Beine ab, so daß er jämmerlich umkam.
5. Theseus in Athen; dermarathonischeStier.
— Man kann sich denken, daß der König Ägeus seinen Sohn,
als dieser in Athen ankam und ihm das wohlbekannte Schwert
vorzeigte und die mancherlei Heldenthaten -erzählte, welche er
unterwegs verrichtet hatte, mit großen Freuden aufnahm. Er
stellte den herrlichen Jüngling als seinen Erben und Nachfolger
in der Herrschaft dem athenischen Volke vor, und Theseus hatte
bald Gelegenheit, sich um sein neues Vaterland verdient zu
machen. Ein grimmiger Büffel verwüstete damals die Fluren
des benachbarten Ortes Marathon, stieß Menschen und Tiere,
die er auf den Äckern traf, zu Boden, und niemand wagte sich
mehr auf das Feld hinaus. Es war ein Untier, wie jener
wütende Stier, den Herkules auf der Insel Kreta eingegangen
hatte, ja es heißt, der marathonische Stier sei kein anderer ge-
roefen, als der von Kreta, welcher von seinen Banden wieder
frei geworden. Theseus ging, mit dem Wurfspieße bewaffnet,
gegen ihn los, und alles Volk, das aus der Ferne dem gefähr-
lichen Kampfe zuschaute, staunte ebenso sehr über den Mut,
mit dem er den dumpfbrüllenden Stier angriff, als über die
Gewandtheit, mit welcher er dessen furchtbaren Stößen auszu-
weichen verstand. Zuletzt gelang es ihm, dem Büffel eine Kette
um die Hörner zu schlingen und ihn daran in die Stadt zu
führen, deren Bewohner den Sieger mit brausendem Jubelge-
schrei empfingen.