Full text: Erzählungen aus der griechischen und römischen Geschichte

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gewöhnlich geschah, um Mitleid und Gnade zu flehen. Das er- 
bitterte die Richter und sie verurteilten ihn zum Tode. Sokrates 
verzieh ihnen das ungerechte Urteil und ließ sich ruhig ins Ge- 
sängnis abführen. 
8. Sokrates im Gefängnis; sein Tod 399. — 
Dort verbrachte er noch 30 Tage. Seine Freunde besuchten ihn 
täglich und fanden bei ihm stets Worte des Trostes und Lehren 
der Weisheit. Sie thaten alles, den geliebten Meister zu retten. 
Durch Geschenke gewannen sie den Gefängniswärter, daß er 
eines Abends die Kerkerthüre offen ließ. Sokrates sollte ent- 
fliehen. Aber er wies den Vorschlag zurück und sprach: „Man 
darf nicht Unrecht mit Unrecht vergelten. Ich habe so lange 
unter den Gesetzen meines Vaterlandes gelebt und ihre Wohl- 
that genossen; ich gehorche ihnen auch jetzt, da sie zu meinem 
Verderben mißbraucht werden." — „Ach," jammerte einer seiner 
Freunde, „daß du so unschuldig sterben mußt!" — „Wolltest 
du denn lieber," erwiderte Sokrates, „daß ich schuldig stürbe?" 
An seinem Todestage nahm er Abschied von seiner weinenden 
Frau und seinen Kindern und führte mit seinen Freunden die 
erhabensten Gespräche über den Tod, der ihn von allen Erden- 
leiden befreie und seine unsterbliche Seele zu den Geistern der 
großen Männer der Vorzeit hinübertrage. Als sich die Sonne 
zum Untergange neigte, erschien der Gerichtsdiener, einen Becher 
mit Gift in der Hand. „Sage mir, wie muß ich's machen?" 
fragte Sokrates. „Du mußt," erwiderte der Diener, „nach dem 
Trinken auf- und abgehen, bis dich Müdigkeit befällt; dann 
legst du dich nieder." Mit heiterem Antlitz nahm Sokrates den 
Becher, betete zu den Göttern und trank ihn leer. Bald fühlte 
er, wie das Gift zu wirken anfing; er legte sich nieder, seine 
Glieder wurden kalt und starr. „Bringet den Göttern ein Dank- 
opfer dar!" sprach er zuletzt zu seinen Freunden, noch einmal 
darauf hinweisend, daß er durch den Tod zu einem höheren 
Leben eingehe. Dann hüllte er sich in seinen Mantel und 
verschied. 
So starb der Weiseste und Tugendhafteste der Griechen.
	        
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