190 § 95. Die Reformversuche der Gracchen 133—121.
Die Gracchen waren Söhne der Cornelia, der edlen Tochter des Älteren Scipio
Africanus, und die Schwäger des Jüngeren Scipio, der mit ihrer Schwester ver-
mählt war. Auf Grund ihrer vielverzweigten Familienverbindungen hofften sie,
auch die Zustimmung gleichgesinnter Adelsgeschlechter für ihre Gesetzvorschläge zu
gewinnen.
2. Liborius Sempronius Gracchus 133. Vom Vertrauen des Volkes
getragen, verlangte er die Erneuerung des längst nicht mehr beachteten Skv
uischen Ackergesetzes, wonach ein Bürger an Gemeindeland nicht mehr'als
500 Morgen (— 125 ha) besitzen sollte. Das hiedurch wieder frei werdende
Land sollte an ^e besitzlosen Bürger gegen eine jährliche Abgabe in Erbpacht
gegeben und dadurch das ackerbautreibende Bürgertum wieder vermehrt werden.
Hiezu fügte er, als eben König Attalus von Pergamum die Römer zu seinen
Erben eingesetzt hatte, den weiteren Antrag, daß dessen Vermögen zur Unter-
stützung der neuen Kolonisten verwendet werden sollte. In den hierüber
entstehenden Zwistigkeiten wurde er von seinen Gegnern ermordet.
Die beiden Vorschläge waren vom Volke angenommen worden trotz aller
Hindernisse, welche ihnen die Senatspartei bereitet hatte. Um den Anklagen, die
er nach Ablauf seines Amtsjahres zu gewärtigen hatte, durch Unverletzlichkeit zu
entgehen, bewarb sich Gracchus wider das Herkommen auch für das folgende Jahr
um das Tribunal. Daraufhin beschuldigte man ihn des Strebens nach der Allein-
Herrschaft. Am Wahltage wurde er von den Senatoren auf dem Kavitol über-
fallen mii) mit dreihundert seiner Anhänger erschlagen.
3. Eazus Gracchus 123—121. Zehn Jahre nach dem Tode des Tiberius
Gracchus trat sein jüngerer Bruder Cajus, ein hochbegabter und wohlberedter
Mann, in seiner Stellung als Volkstribun noch heftiger gegen die Miß-
regierung der Vornehmen auf. Seiner umgestaltenden Thätigkeit setzte eben-
salls gewaltsamer Tod ein vorzeitiges Ziel (121).
a) GL Gracchus hatte namentlich das Ackergesetz seines Bruders wieder auf-
gegriffen und weiter ausgebaut. Aber die Ausführung dieses Gesetzes wurde,
weil es den Besitzstand der Vornehmen schwer bedrohte, durch Umtriebe erschwert
und hauptsächlich dadurch hinfällig gemacht, daß zuletzt abermals die Verkäuflich-
keit der eben erworbenen Güter als statthaft erklärt wurde.
d) Den Ritterstand hatte C. Gracchus in einen politischen Gegensatz zur
Senatspartei gestellt, indem er ihm die Steuerpachtung in den Provinzen und
die Gerichtsbarkeit über Unterschleif und Erpressungen der Statthalter und anderer
Beamten übertragen ließ.
c) Außerdem hatte er die Gründung überseeischer Kolonien, die Verbilli-
gung des Getreidepreises und die Verleihung des Bürgerrechtes an die
italischen Bundesgenossen beantragt. Solche Maßnahmen hätten vielleicht die
kommenden Bundesgenossenkriege, Sklavenkriege und Bürgerkriege hintangehalten.
Allein Leidenschaft und Eigennutz der Bemittelten hintertrieben diese letzteren
Reformen oder verhinderten ihre ehrliche Durchführung.
d) Zuletzt kam es aus Anstiftung des Konsuls Opimius wieder zum Aufruhr
und zum Handgemenge der Parteien (auf dem Aventin). Gracchus suchte aus der
Flucht selber den Tod. Dreitausend seiner Gesinnungsgenossen wurden hingerichtet.