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gelockert, und die Regierung konnte sich auf die Offiziere nicht
verlassen.
C. Dos geistige Leben unter £odroig XV. Der Träger der
Bildung war der dritte Stand (tiers-etat) oder die aus Kaufleuten,
Fabrikanten, Künstlern, Beamten. Gelehrten, Ärzten und Advokaten
bestehende Bourgeoisie. Aus diesen Kreisen gingen die sog.
Philosophen hervor. Es waren meist freigeistige Gelehrte und
Schriftsteller, die an den staatlichen und kirchlichen Zuständen eine
scharfe Kritik übten. Diderot und d'Alembert gaben mit anderen
Schriftstellern (Rousseau, Voltaire) eine Enzyklopädie, d. h.
ein Wörterbuch der Wissenschaften und Künste (Konversationslexikon),
heraus, das heftige Angriffe auf das Christentum enthielt. Montes-
q u i e u wandte sich gegen den absoluten Staat und pries die
konstitutionelle Regierungsform; Rousseau forderte in seiner
Schrift: „Über den Gesellschaftsvertrag" Gleichheit, Freiheit
und Volkssouveränität. Besonders verderblichen Einfluß übte
Voltaire auf seine Zeitgenossen aus. Er war Philosoph, Dichter
und Geschichtschreiber und wandte sich in den meisten seiner Schriften
mit boshaftem Witz und beißendem Spott gegen die Kirche.
d. Als der Noräamerikanifcke Freikeitskrieg (S. 309) ausbrach,
begeisterte sich das französische Volk für die Sache der Republikaner,
und selbst Söhne vornehmer Familien gingen als Freiwillige nach
Nordamerika. Der Sieg der Amerikaner machte auf die Franzosen,
die mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden waren, einen tiefen
Eindruck.
2. Die Reformversuche Ludwigs XVI. Ludwig XVI., der
1774 den Thron bestieg, war ein sittenreiner und sparsamer, aber
wenig tatkräftiger Fürst. Bei seinem Regierungsantritt betrug der
jährliche ^Fehlbetrag des Staatshaushalts 198 Millionen Frank.
Der König begann bald mit Reformen, die aber ohne Erfolg blieben,
da er sich von der an ihren Feudalrechten festhaltenden Hofgesell-
schaft beeinflussen ließ. Infolgedessen wuchs die Erbitterung des
Volkes. Sein Haß richtete sich besonders gegen die Gemahlin des
Königs, Marie Antoinette, die Tochter Maria Theresias, die
bei ihrer Arglosigkeit das Opfer schamloser Verleumdungen wurde.
(„Halsbandgeschichte".) Als der tüchtige Finanzminister Turgot
mit seinen Reformen dem hohen Adel mißliebig wurde, entließ ihn
der König. Auch Necker, Turgots Nachfolger, wußte die Finanznot
nicht zu beseitigen. Auf Neckers Rat, der 1788 zum zweitenmal
zum Finanzminister ernannt worden war, berief der König die
Reichsstände, die seit 1614 nicht mehr einberufen worden waren.
Oncken, Das Zeitalter der Revolution, des Kaiserreichs und der
Befreiungskriege. 1. Bd. Berlin 1884.