Full text: Neueste Geschichte von 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

Der Krieg von 1870/71 und die Gründung des Deutschen Reiches. 231 
deutschen Vormächten gestellt. Wenn er die Idee der Nationalität . . . damit 
zu kombinieren versucht hatte, so war es in der Erwartung geschehen, daß sich 
die Kämpfenden aneinander müde ringen, und daß ihm dann das Amt des 
Schiedsrichters zufallen, ein Stück der Beute nicht entgehen und die herrschende 
Stellung am Oberrhein gewahrt bleiben würde." (Lenz.) 
I). Die Erfolge der preußischen Waffen hatten den allzu feinen 
Politiker enttäuscht und die nationalen Leidenschaften seines Volkes erregt. 
a. Als Napoleon nach allzu langem Zögern dem Sieger seine „Kompen- 
sationsforderungen" vorgelegt hatte, war ihm eine so schroffe Abweisung 
zuteil geworden, daß er sich genötigt sah, die ganze Sache als ein „Miß- 
Verständnis" zu entschuldigen und seinen Minister des Auswärtigen (Drouyn 
de Lhuys) zu entlassen. 
Der Versuch, sich durch ein Bündnis mit dem Sieger auf vorteilhafte 
Weise aus der Schlinge zu ziehen, war ebenfalls gescheitert. Benedetti hatte 
Bismarck am 20. August den Vorschlag gemacht, sich die Bundesgenossenschaft 
Frankreichs durch die Abtretung von Landau und Saarbrücken sowie die Zu- 
stimmung zur Annektierung Belgiens zu erkaufen. Abermals gelang es Bismarck, 
den Gegner zu überlisten; zwar wies er die Abtretung deutschen Landes ebenso 
schroff zurück wie früher, aber er zeigte sich bereit, wegen Belgiens zu ver- 
handeln, und bewog den französischen Gesandten, ihm einstweilen (29. August) 
einen dahingehenden schriftlichen Bündnisantrag zu übergeben, den er zu 
gelegener Zeit dazu benützen konnte, Frankreichs Beutegier an den Pranger 
zu stellen. 
So sah sich Napoleon „beiseite gedrängt, von dem Minister, mit dem er 
jahrelang seine Praktiken getrieben, düpiert und schließlich mit allen seinen 
Forderungen und dem Anerbieten des Bündnisses selbst abgewiesen". 
ß. Trotzdem wünschte Napoleon den Krieg mit dem Gegner, dessen 
Stärke er nicht unterschätzte, keineswegs; aber die Sorge um die Sicherheit 
seiner Dynastie zwang ihn, den leidenschaftlichen Äußerungen der öffentlichen 
Meinung in Frankreich, der verletzten Eitelkeit der Franzosen, die nach „Kom- 
penfationen" und nach „Rache für Sadowa" schrie, nachzugeben. „Die nationale 
Bewegung, die ihn einst selbst emporgetragen, der er in Italien Bahn gemacht 
und der er die großen Erfolge seiner früheren Jahre, die führende Stellung 
in Europa verdankt hatte, begann sich gegen ihn zu kehren und drohte ihn 
in immer tiefere Widersprüche zu bringen mit der altfranzösischen Politik, 
auf die er doch in erster Linie verpflichtet war, mit dem Ehrgeiz der Nation, 
den er sättigen mußte, wenn er sich auf dem Throne behaupten wollte." (Lenz.) 
c. Seine Bemühungen, die ihm unentbehrlichen Gebietserweiterungen 
durch diplomatische Erfolge zu erringen, schlugen fehl. 
a. 1867 bewog Napoleon den stark verschuldeten König von Holland, 
das Großherzogtum Luxemburg, dessen Hauptstadt eine preußische Besatzung 
hatte, an Frankreich zu verkaufen. Allein Bismarck erklärte, daß Luxemburg 
durch den Teilungsvertrag von 1839 unter die Garantie der europäischen 
Großmächte gestellt worden sei, und machte den Handel somit von der Ent¬ 
scheidung der Großmächte abhängig. Da er aber damals den Kampf mit 
Frankreich noch aufgeschoben wissen wollte, erleichterte er auf der in London 
tagenden Konferenz dem Gegner den Rückzug, indem er auf das preußische 
Besatzungsrecht in Luxemburg mit der Bedingung verzichtete, daß die Festung 
geschleift würde.
	        
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