Full text: Neueste Geschichte von 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

Übersicht über die innerpolitische Entwicklung des Deutschen Reichs seit 1871. 249 
1). Die Einheit der deutschen Wehrkraft war für den Kriegsfall 
durch die Bestimmung der Reichsverfassung gesichert, daß dem Kaiser im Kriege 
der Oberbefehl über sämtliche Bundestruppen zustehe. Daneben galt es nun 
aber, die Einheitlichkeit des Heerwesens auch im Frieden zu verwirklichen. 
Dieses Ziel wurde erstrebt und erreicht einerseits durch den Abschluß von 
Militärkonventionen zwischen Preußen und den meisten kleineren Regie- 
rungen und andererseits dadurch, daß das Heerwesen in gewissen Beziehungen 
Gegenstand der Reichsgesetzgebung wurde. 
«. In den rTiilitärtonventionen verzichteten die kleineren Staaten mehr 
oder weniger vollständig auf ihre militarhoheitlichen Rechte, ihre Kontingente wurden 
Bestandteile des preußischen Heeres. Die vier Armeekorps der größeren Staaten 
(Bayern, Sachsen und Württemberg) behielten zwar ihre selbständige Stellung in der 
Reichsarmee, aber es wurde dafür gesorgt, daß sie in ihrer Organisation und kriegs¬ 
mäßigen Ausbildung dem preußischen Heere völlig angepaßt wurden. 
ß. „War durch all diese Konventionen zunächst die innere Gleichartigkeit des 
deutschen Heeres gewährleistet, so fiel die Garantie für feine allgemeine Fort¬ 
bildung naturgemäß den einheitlichen (Organen des Reiches, also dem Bundesrate 
und dem Reichstage, zu und gestaltete sich hier wesentlich zu einem Finanzproblem, 
ja zunächst zu dem durchaus ersten und wichtigsten Finanzprobleme des Reiches aus, 
bei dem vor allem die Frage nach der Notwendigkeit eines großen Heeres zu stellen 
war und immer wieder gestellt ward," 
y. Bis (87q. galt für das Heerwesen des Reiches die Bestimmung aus der 
Zeit des Norddeutschen Bundes, daß für jeden Iiiann pro Jahr ein Pauschquantum 
zu zahlen fei. Artikel 60 und 6( der Reichsverfassung schrieben vor, daß späterhin 
die Friedenspräfenzstärke des Heeres auf dem Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt 
werden sollte. Im Jahre *873 war dieser Zeitpunkt gekommen; eine überaus 
wichtige Entscheidung für die innere (Entwicklung des Reiches stand 
bevor. Die Reichstagswahlen von (87<t lieferten infofern ein günstiges Ergebnis, 
als sie eine starke reichsfreundliche Mehrheit brachten (2^0 Nationalliberale, Konservative 
und Fortfchrittler gegen (55 oppositionelle Stimmen). 
Die Vorlage des Bundesrates wollte die Friedenspräfenzstärke dauernd auf 
( Prozent der Bevölkerung festsetzen, um die festeste Grundlage der Reichseinheit, 
das Heer, nicht dem unsicheren (Ergebnis jährlicher Abstimmungen auszusetzen. Allein 
die Mehrheit des Reichstages wollte das Steuerbewilligungsrecht des Hauses nicht 
durch eine derartige Bindung illusorisch machen. Die Vermittlung Rudolf von Bennigsens 
brachte schließlich ein Kompromiß zustande, wonach die vorgeschlagene präfenzziffer 
für sieben Jahre Geltung haben sollte (Septennat). 
ck- Spätere (Erneuerungen des Septennats gingen nicht immer ohne be¬ 
deutende Schwierigkeiten vonstatten, zumal die gewaltigen Rüstungen Frankreichs und 
Rußlands mehrmals zur (Erhöhung der Friedensstärke des Heeres zwangen. (887 wollte 
die oppositionelle Mehrheit des Reichstages (Zentrum, Freisinn, Weifen, Sozial¬ 
demokratie) auf Windthorsts Antrag die Heeresausgaben nur für drei Jahre sicher¬ 
stellen, worauf der Kaiser den Reichstag auflöste. Die Neuwahlen bewiesen, wie sehr 
der Reichsgedanke im deutschen Volke lebendig mar: sie brachten der Regierung eine 
starke Mehrheit, am 9. März (887 wurde die Septennatsvorlage mit 227 gegen 
3( Stimmen angenommen. (Das Zentrum hatte sich, da £eo XIII. im Interesse der 
Kirche die Annahme der Vorlage empfahl, der Abstimmung enthalten.) 
f. Das Jahr (888 brachte abermals ein wichtiges Gesetz, durch 
welches die jüngsten sechs Jahrgänge des Sandsturms (5 5. bis 39. £ebens = 
jähr) zur Landwehr geschlagen wurden. (Rede Bismarcks vom 6. Febrar (888: 
„Wir Deutsche fürchten Gott und fönst nichts in der weit.") 
So hatte sich auf dem Gebiete des Heerwesens der Reichsgedanke siegreich 
über die (Einzelstaaten erhoben. „Was aber für das Heer galt, das galt natürlich
	        
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