Preußen unter der Regierung Friedrich Wilhelms I. 107
Absichten auf Jülich und Berg am besten durch eine Verbindung mit dem
Kaiser gewährleistet zu sehen. Zudem wuchs seine Erbitterung gegen England
von Tag zu Tag, da Georg I. die Verwirklichung der erwähnten Heirats¬
projekte von einer politischen Verbindung Englands und Preußens abhängig
machte. So ward es der geschickten Vermittlung Seckendorfs leicht, den König
ganz auf die Seite des Kaisers herüberzuziehen.
Im Vertrage von Wusterhausen erkannte Preußen die pragmatische
Sanktion an; der Kaiser aber verpflichtete sich, mit Pfalz-Sulzbach zu unter¬
handeln und binnen sechs Monaten einen Vergleich zustande zu bringen, der
Preußen wenigstens die Erwerbung Bergs zusicherte; sollten die Verhandlungen
zu keinem Ergebnis führen, so versprach der Kaiser, Preußen eine „ander¬
weitige Genugtuung" zu verschaffen.
Da nun aber der Vergleich mit Pfalz-Sulzbach nicht zustande kam, war
der Vertrag von Wusterhausen hinfällig, Österreich suchte den König von
Preußen durch einen neuen Vertrag an sich zu fesseln, der 1728 zu Berlin
abgeschlossen wurde. Preußen verpflichtete sich darin zur Verteidigung der
pragmatischen Sanktion gegen jeden Angriff; es forderte dafür die Garantie
der Erwerbung Bergs oder eines äquivalenten Besitzes, begnügte sich schließlich
aber mit der Übertragung der Anrechte des Kaisers auf Berg und mit der Zu¬
sicherung, daß der Kaiser die Sache Preußens mit allem Nachdruck fördern werde.
Der Berliner Vertrag wurde für die ganze fernere Politik
Preußens von größter Bedeutung: im Vertrauen auf Österreichs Bundes¬
treue fesselte Friedrich Wilhelm I. die auswärtigen Interessen seines Staates
auf mehr als ein Jahrzehnt an die Ziele der habsburgischen Politik und über¬
nahm Verpflichtungen, die in gar keinem Verhältnis zu den Gegenleistungen
des Kaisers standen. Der Anschluß an Österreich war eine völlige Verkennung
der Lebensintereffen des preußischen Staates, aus der dem arglosen Friedrich
Wilhelm eine ununterbrochene Reihe schwerster politischer Niederlagen erwuchs.
Alle großen preußischen Staatsmänner der Folgezeit haben denn auch aus
dieser wenig ruhmvollen Periode der Politik Preußens die Lehre gezogen, daß
der Hohenzollernstaat nimmermehr seinen Vorteil in der Verbindung mit den
Habsburgern suchen dürfe.
Für Österreich aber kam schon unmittelbar nach dem Tode Karls VI.
die Zeit, in der es die Treulosigkeit seiner Politik schwer büßen mußte. Zu¬
nächst freilich erntete der Kaiser die Früchte des Berliner Vertrages im vollsten
Maße: England, dessen Beziehungen zu Preußen sich in demselben Verhältnis
verschlechterten, in dem die preußisch-österreichische Freundschaft wuchs, war nun
genötigt, sich dem Kaiser zu nähern, und erkannte die pragmatische Sanktion
an; auch das Reich konnte dem Kaiser die Gewährung dieses von Preußen
unterstützten Wunsches nicht länger versagen. Es war kein Wunder, daß
unter solchen Umständen die Beziehungen der Höfe von Wien und Berlin einen
überaus herzlichen Charakter zeigten; Friedrich Wilhelms biederer Sinn war
Österreich in aufrichtiger Treue verbunden, der König äußerte, „nächst Gott
traue er auf niemand so sehr wie auf seinen wahren Freund und Alliierten,
den Kaiser".
6. Die Nachbarschaft Polens verbündete die drei Ostmächte Rußland,
Österreich und Preußen eine Zeitlang zu gemeinsamer Politik.
a. Das polnische Reich hatte bisher infolge seiner inneren Schwäche
keine bedeutende Rolle in der europäischen Politik gespielt; erst durch die Pläne