Full text: Deutsche und brandenburgisch-preußische Geschichte von 1648 bis 1815 (Teil 2)

64 Kolonisation Ostdeutschlands und Vorgeschichte Brandenburg-Preußens. 
noch zustehenden Vollstreckungsgewalt eingebüßt; die dem Kaisertume 
noch erhalten gebliebenen Rechte beschränkten sich in der Hauptsache auf Ver¬ 
leihung von Standeserhöhungen und Titeln sowie in einigen administrativen 
Einwirkungen auf die Frankfurter Messe. 
2. War das Reich somit ein „aus kaiserlich-monarchischer Vorzeit heraus¬ 
gewachsener, von ihr noch vielfach, doch wesentlich nur äußerlich abhängiger 
Bund von Fürsten", so fehlte diesem staatlichen Gebilde doch auch 
wieder das Hauptmerkmal föderativer Einheit: es gab nach den Be¬ 
stimmungen der Reichsverfassung keinen Punkt, in welchem sich der Partikula¬ 
rismus der Einzelstaaten der höheren Macht einer Zentralgewalt zu unter¬ 
werfen hatte. 
a. Der Reichstag, der als die oberste Bundesbehörde galt, bot in 
seiner schwerfälligen Organisation (vgl. I. Tl. § 74) und völligen Entschlu߬ 
unfähigkeit ein Bild kläglichsten Unvermögens. Bald konnte er nicht einmal 
mehr als die Versammlung sämtlicher Stände des Reiches gelten; denn schon 
in den sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts erschienen die Fürsten nicht 
mehr persönlich auf den Reichstagen, sondern ließen sich durch ihre meist mit 
ganz unzulänglichen Vollmachten ausgestatteten Gesandten vertreten: der Reichs¬ 
tag war zu einem Kongreß vielfach recht fragwürdiger Diplomaten herabgesunken. 
d. Bon einer Reichsgesetzgebung konnte unter solchen Umständen kaum 
noch die Rede sein; die Landesgesetzgebung der Territorien wurde von seiten 
des Reiches kaum jemals beeinträchtigt, mochte sie dem Interesse des Reiches 
zuwiderlaufen oder nicht. 
e. Auf dem Gebiete des Reichsfiuanzweseus war man nach all den 
mißglückten Reformversuchen früherer Zeiten (vgl. I. Tl. §§ 43. 56. 57. 62) bei 
einem oft recht drückenden System von Matrikularbeiträgen stehen geblieben. 
Die vollständigste Leistungsunfähigkeit dieser Organisation offenbarte sich jedoch 
darin, daß infolge des Mangels einer starken Bollstreckungsgewalt kein Reichsstand 
— vornehmlich kein größerer — gezwungen werden konnte, eine vom Reichs¬ 
tag beschlossene Umlage für sich als bindend anzusehen. „Ein Beschluß des 
Lüneburger Kreistages vom Jahre 1652 erklärte es »natürlicher Freiheit ganz 
zuwider, daß einer durch sein Votum verordnen könne, was ein anderer geben 
solle«, und dieser Anschauung schloß sich, namentlich unter der Einwirkung 
Brandenburgs, der Reichstag des Jahres 1653 an. . . . Natürlich war es 
unter diesen Umständen völlig unmöglich, eine kräftige Reichspolitik wie nach 
außen, so nach innen zu entfalten." (Lamprecht.) 
Anmerkung. Es war bezeichnend für die Tendenzen des habsburgischen Kaiser¬ 
tums, daß Brandenburg doch zum Heile des deutschen Volkes wirkte, indem es dem 
Kaiser das Recht bestritt, durch Reichstagsbeschluß Steuern auflegen zu lassen (vgl. 8 9). 
ck. Die Heeresverfassung des Reiches war noch immer nach den 
Grundsätzen des längst verfallenen Lehnsstaates geordnet. 
Im Falle eines Reichskrieges wurden die einzelnen Kontingente der 
Reichsstände durch kaiserlichen Befehl ausgeboten. Ihr Zusammentritt erfolgte 
niemals ohne wiederholte „kaiserliche Hortatorien und Exzitatorien", und da 
in bezug auf Bewaffnung, Ausrüstung und Gliederung der Truppen keine 
allgemein gültigen Bestimmungen existierten, ergab das Ganze dann „den be¬ 
trüblichen, noch heute im Gedächtnis der Nation fortlebenden Typ der Reichs¬ 
armee", an deren Dasein später die schmachvollen Ergebnisse des Reichskrieges 
gegen Friedrich den Großen die vernichtendste Kritik üben sollten.
	        
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