fullscreen: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten, nebst einem Abriß der Poetik und Litteraturgeschichte

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Fleiß in der Schule dumm wird; wer sich blödsinnig, hypochondrisch, schwach und 
krank studiert; wer Seelenkräste bildet und den Körper vernachlässigt, gleichsam 
als ob er ein purer Geist wäre; wer eine Seelenkraft, z. B. die Einbildung^ 
kraft, das Gedächtnis, ohne die andere, den Verstand, die Überlegung, pflegt? 
wer für den Kopf studiert, ohne ans Herz zu denken, und ein anderer, der 
immer nur in Empfindungen schwimmen will, ohne sich mit kalter Kühnheit 
richtiger Begriffe zu befleißigen; wer mit allem tändelt und eine ernste anhab 
tende Mühe wie die Hölle fliehet: alle diese lernen nicht fürs Leben; denn iw 
Leben muß der ganze ungeteilte Mensch, der gesunde Mensch mit allen seinen 
Kräften und Gliedern, er muß mit Kops und Herz, mit Gedanken, Willen und 
That, nicht etwa nur im Spiel, sondern auch im höchsten Ernst, nicht nur 
wohlgefällig, sondern auch mächtig wirken; wer dies nicht kann, wer sich hierzu 
nicht frühe geübt hat, der hat nicht fürs Leben gelernt. Und o, wen straft 
hier sein Gewissen nicht! Wie manches lernten wir, was wir wohl hätten über¬ 
gehen können, und gaben ihm eine Zeit, die wir dem Notwendigern, weil es 
uns nicht angenehm war, entzogen! Wie manches versäumten wir, was doch 
das Leben notwendig fordert und durch dessen Entbehrung wir nachher bestän¬ 
dige Himpler und Hampler in der Kunst des Lebens wie in unserm Geschäft 
bleiben. Erwache, Jugend, und lerne fürs Leben! Die Zeit, für welche du 
erwächst und dich bereitest, braucht gewiß lebensgelehrte Männer, d. i. Männer, 
die leben gelernt haben, Männer von richtigen Sinnen, von gesundem Augen¬ 
maß, von fester Hand in allerlei Künsten, von gesundem Ohr, recht zu hören 
und zu fassen, was gesagt wird, und darauf recht zu antworten, also auch 
von reinem, gesundem Ausdruck, Bekanntschaft mit Dingen der Natur, mit 
dem Zustande der Welt, mit ihren Bedürfnissen und Geschäften, wodurch ein 
richtiger Verstand, eine reine, tüchtige Überlegung gebildet wird. Die Zeiten, 
daß man Schäfergedichte macht, Anakreons Lieder übersetzt oder sonst mit der 
Sprache und Poesie tändelt, seien auch bei der Jugend vorüber; denn das 
Leben, wozu sich Jünglinge zu bereiten haben, fordert andere Geschicklichkeit 
als anakreontische oder Schäferlieder. 
Endlich, da das Leben nicht nur Kenntnisse und Gedanken, sondern auch 
Willen, Triebe, That braucht und in diesem vor allem das Leben besteht, ft 
wendet sich der Spruch: nicht der Schule, sondern dem Leben zu lernen, vor¬ 
züglich auf Bildung des Herzens und des Charakters. Was hülfe es, tausend 
Kenntnisse und keinen Willen, keinen Geschmack, keine Lust und Liebe, honett 
und rechtschaffen zu leben, haben? Jnr Willen leben wir; das Herz muß uns 
verdammen oder trösten, stärken oder' niederschlagen, lohnen oder strafen; nicht 
auf Kenntnisse allein, sondern auf Charakter und Triebe, auf die menschliche Brust 
ist die Wirksamkeit und der Wert, das Glück oder das Unglück unseres Lebens 
gebaut. Leben lernen heißt also, seinen Neigungen eine gute Richtung geben, 
seine Grundsätze reinigen, befestigen, stärken, seine Vorsätze läutern und tapfer 
begründen, nicht mit dem Kopf allein, sondern auch mit dem Herzen existieren 
für Eltern, Freunde, Lehrer, Mitschüler, Bekannte, Fremde; sich Sitten 
erwerben, anständige, frohe Sitten, liebenswert machend vor Gott und den 
Menschen. Leben lernen heißt die Stunden des Tages wohl einteilen, sich 
Ordnung im Geschäft geben und sie mit strenger Munterkeit halten, den Er- 
götzlichkeiten, dem Schlaf, der Trägheit nicht mehr Zeit einräumen, als ihnen 
gebührt; sich Vorschriften machen, wodurch man seine Schwäche überwindet
	        
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