Full text: Deutsche Geschichte bis zum Westfälischen Frieden (Teil 1)

34 Das Mittelalter. 
§ 9. Der national-germanische Gesamtstaat und die Erneuerung des 
weströmischen Kaisertums. Karl der Graße (768—814). 
Doppelherrschaft 1. Karl und Karlmann. Nach Pippins Tode teilten sich der Erb- 
768- folgeorbnung gemäß feine beiden Söhne Karl und Karlmann in das 
Reich. Der zwischen ihnen bestehende Zwist wäre für dasselbe vielleicht 
noch verhängnisvoll geworden, hätte nicht drei Jahre darauf der Tod 
Karlmann dahingerafft. Mit Übergehung der unmündigen Söhne des- 
Weinherrschaft selben übernahm nun Karl1) die Alleinherrschaft. 
m- Seine Jugenb ist in Dunkel gehüllt; ebensowenig wie ber Ort ist bie 
Karls Eigenart. Zeit seiner Geburt (742 ober 747) zu bestimmen. Eine germanische 
Helbengestalt: Hochgewachsen, kraftvoll, gebrungen, bas Haupt zurückgeworfen 
in ben Nacken; ber burchbringenbe Blick seiner großen, klaren Augen, bie 
scharf gebogene Nafe, bas breite, kräftige Kinn oerrieten Entschlossenheit 
unb Kühnheit. (Vgl. Neiterstatuette unb Münze auf Tafel VI.) Durch 
körperliche Übungen unb Mäßigkeit in Speise unb Trank wußte er sich 
Stärke unb Gesunbheit bis ins Greisenalter zu erhalten. Das Maß seiner 
burch ben Jugenbunterricht gewonnenen Kenntnisse war nicht tiebeutenb; 
erst als bejahrter Mann übte er sich in ber schweren Kunst bes Schreibens. 
Dagegen befaß er große natürliche Gaben, unenbliche Ausbauer, wußte er 
im Felb wie im Rat Klugheit mit mannhaftem Hanbeln zu verbinben. Auch 
im welschen Mantel bes Kaisertums blieb er ein beutscher Mann. Als 
Vater unb Gatte, als Freunb, als frommer Christ, bem bie Sorge für 
bie Kirche Herzensbebürfnis war, zeigte er stets bie tiefe Innerlichkeit feines 
Gemütes. Als er sich bem Geistesleben ber alten Völker zuwanbte, schrieb 
er boch selbst an einer beutschen Grammatik unb ließ bie germanischen 
Helbenfagen sammeln. 
Seine Sein Wollen unb Wirken ist für bie ganze Entwicklung bes Abenb- 
Bedeutung. fonfre§ ü0n ber größten Bebeutnng geworben. Jnbem er fast alle ger¬ 
manischen Stämme bes Festlanbes unter seiner Königslanze vereinigte, gab 
er bie Möglichkeit ber Entstehung eines beutsthen Einheitsstaates; inbem 
er bas weströmische Kaisertum erneuerte unb, ein eifriger Leser bes von 
bem Kirchenlehrer Augustinus verfaßten Werkes über ben Gottesstaat, 
bie Schutzgewalt über bie Kirche unb bas Papsttum mit seiner weltlichen 
Macht verbanb, gelangte er zur Grünbung eines gottesstaatlichen Gesamt- 
reiches; inbem er geistliche unb weltliche Dinge zu einer Einheit verknüpfte 
unb eine neue germanisch-römische christliche Kultur erstehen lassen wollte, 
lourbe er ber Urheber bes eigentlichen Mittelalters unb ber bis zur Kirchen¬ 
erneuerung geltenben Drbnung ber abenblänbischen Christenheit. 
$i«s«»i=niri,9e 2. Satls Stiegt, o. Das erste Ziel, seitdem er die gesamte Gewalt 
772-804(?). -n |e|ner vereinigte, war die Unterwerfung und Bekehrung der 
Sachsen. Aber die Widerstandskraft dieses tapferen Volkes war so groß, 
daß fast die ganze Regierungszeit Karls verstrich, ehe es in das Reich 
eingefügt war. 
1) S. Einhards Leben Karls des Großen bei Krämer S. 83f.
	        
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