Full text: Der Weltkrieg ([Erg.-H. 1])

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hältnisses hatten beide Mächte: Rußland während des Krimkrieges (1854 bis 
1856) und während des polnischen Aufstandes (1863), Deutschland in seinem 
Kriege gegen Frankreich. Das wurde anders im Jahre 1878. In diesem 
Jahre beendete Rußland einen langen und unerwartet schwierigen Feldzug 
gegen die Türkei und schloß mit ihr den Frieden von Santo Stefano (am 
Bosporus), der die Verhältnisse auf dem Balkan von Grund aus umgestaltete. 
Diese einseitige Ordnung der Dinge im Südosten Europas fand nicht die Zu- 
stimmung der übrigen Mächte, und auf einem großen Kongreß, der noch in 
demselben Jahre in Berlin zusammentrat, mußte sich Rußland nicht nnwesent- 
liche Abänderungen jenes Friedens gefallen lassen. Die Verantwortung für 
diese Rußland wenig befriedigende Ergebnisse des Berliner Kongresses schob 
die russische Presse ohne allen Grund dem Leiter der Versammlung zu, dem 
Fürsten Bismarck. Und die russische Regierung tat nichts, diesem Treiben ein 
Ende zu machen; sie begünstigte vielmehr die dadurch hervorgerufene deutsch- 
feindliche Strömung, so daß sich überall im russischen Volke die Überzeugung 
festsetzte, Deutschland habe Rußland damals verraten. Seitdem waren die Be¬ 
ziehungen zwischen beiden Ländern vergiftet. Wenn auch zu Zeiten erhebliche 
Besserungen eintraten, die alte Innigkeit war verschwunden, und eine bei Hos 
und Regierung sehr einflußreiche Bewegung im russischen Volksleben, der Pan- 
slawismns, der alle slawischen Völker unter das Machtgebot des Zaren bringen 
will und dazu nach dem Übergewicht in Europa strebt, wußte die Gunst des 
Augenblicks zu benutzen, diese Stimmung zu verewigen. Durch seine Hetzpresse 
erzeugte er in weitestem Kreise der Bevölkerung gegen deutsche Bildung und 
Gesittung, gegen alles deutsche Wesen überhaupt einen stumpfen, dumpfen Haß, 
der immer weiter fraß und sich nicht mehr zurückdämmen ließ. Immerhin 
waren es nicht unmittelbare Interessengegensätze, die beide Länder vonein¬ 
ander trennten, sondern nur Angelegenheiten des Gefühls, und daraus pflegen 
in unserer nüchtern rechnenden Zeit keine Kriege zu erwachsen. 
Gegensätze sachlicher Art ergaben sich erst mittelbar, nämlich ans der 
Stellung Deutschlands zu Österreich. Zwischen Rußland und dem Habsburgischen 
Kaiserstaate bestanden in der Tat seit langem recht unerwünschte Reibungs- 
flächen. Sie ergaben sich aus dem Widerstande, den unser Bundesgenosse den 
russischen Anmaßungen auf dem Balkan entgegenstellen mußte. Seit ändert- 
halb Jahrhunderten war es für den Zaren in Petersburg eine Forderung seines 
religiösen Bekenntnisses, seine Glaubensgenossen am Schwarzen Meer und auf 
dem Balkan der Herrschaft der Türkei zu entziehen und sich in den Besitz der 
oströmischen Kaiserstadt und ihrer Hagia Sophia als des Ausgangspunktes der 
gemeinsamen Glaubensform von Helfern und Bedrängten zu setzen. Zugleich 
waren ihm die Befreiung der Glaubens- und Stammesgenossen und der Besitz 
von Konstantinopel auch das lockende Ziel staatlichen Ehrgeizes. Er rechnete 
immer noch damit, daß die jungen Staaten sich politisch seinem Einfluß und 
seiner Oberhoheit unterwerfen würden und er sich zum eigentlichen Herrn des 
Balkans machen könne. Er hoffte weiter, durch den Besitz Konstantinopels 
und der Meerengen eine Mittelmeermacht zu werden und zwar die stärkste von 
allen. Bei seinen Unternehmungen nach dieser Richtung hin fand nun das 
Zarenreich immer die Donaumonarchie als das größte Hemmnis auf seinem 
Wege vor. Dieser Staat durste eine solche Umklammerung durch Rußland
	        
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