1 IV. Deutsche Verfassungs- und Kulturgeschichte.
strengen Lebens der Ritterschaft ein; Unmäßigkeit, Ausschweifung
und Spielleidenschaft drangen bis in die höchsten Kreise. —
Diejenigen freien Bauern, die für den Reiterdienst nicht in
Betracht kamen, und die freien Zinsleute bildeten den Stand der
unritterlichen Freien.
Den nächsten Stand bildeten die Grundhörigen, Grund-
holde. Sie besaßen keine Freizügigkeit und mutzten dem Herrn
fronen durch Arbeitsleistungen an bestimmten Tagen und durch
Abgaben. Die Erben Höriger hatten an den Herrn eine Erb¬
schaftssteuer, das beste Stück Vieh, das beste Kleid usw., den „Bu-
teil“ zu zahlen. Mit dem Aufhören der Eigenwirtschaft trat an
die Stelle der Fronleistungen ein Geldzins, was zur Lockerung
der Hörigkeit wesentlich beitrug.
Die unterste Stufe der Bevölkerung bildeten die Leib¬
eigenen, die, ohne mit Grund und Boden ausgestattet zu sein
(nur in seltenen Fällen hatten sie auch Haus und Hof), wie eine
unbewegliche Sache im Besitz ihrer Herren standen. Sie hatten
keinen Zins, sondern Tag für Tag Dienste zu leisten. Dafür
erhielten sie ihren Unterhalt vom Herrenhof.
Die totellung der Leibeigenen hob sich, als die großen Grund¬
herren die Eigenwirtschaft allmählich aufgaben und sich ausschließlich
dem Reiterdienst zuwandten. Die Eigenleute fanden dabei Ge¬
legenheit, einen Hof zu erwerben und etwa in die Stellung der
Hörigen zu gelangen. Ferner trugen zur Hebung ihrer Stellung
die günstigen Ansiedlungs- und Erwerbsverhältnisse in den aufstre¬
benden Städten (S. 126) und in den Kolonisationsgebieten (S. 115)
im östlichen Deutschland bei, wo man Hörigkeit und Leibeigenschaft
nicht kannte, ^n den Städten wurden sie allmählich zu freien
Bürgern; das Recht der Herren, weggezogene Hörige aus der Stadt
wieder zurückzuholen und ihr Anspruch auf den Nachlaß (Buteil)
solcher Weggezogener ward durch kaiserliche Privilegien an die Städte
nach und nach beseitigt. Ende des 13. Jahrhunderts erfreute sich der
Bauernstand im allgemeinen einer wirtschaftlich und freiheitlich vor¬
teilhaften Stellung wie lange vorher und nachher nicht wieder.
Hörigkeit und Leibeigenschaft waren fast überall verschwunden. Zm
15. Jahrhundert trat ein Rückschlag ein. Hörigkeit und Leibeigen¬
schaft griffen wieder mehr und mehr und selbst in den östlichen
Kolonisationsgebieten um sich. Die Stellung der Grundhörigen und
Leibeigenen ward ungünstiger denn je, und es kam infolgedessen
im Anfang des 16. Jahrhunderts zu jenen kriegerischen Erhebungen
der Bauern, den Bauernkriegen.
Von dem Leben der bäuerlichen Bevölkerung können uns die
Zustände, wie sie noch heute in Dörfern mancher Gegenden, die