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Herren persönlich gesprochen, über deren Schneidigkeit, über deren Begeisterung
für ihre Aufgabe ich mich herzlich gefreut habe — ich sage, womit könnte ich es
rechtfertigen, wenn ich ihnen sagen wollte: ,Das ist alles sehr schön; aber das
Deutsche Reich ist dazu nicht stark genug; es würde das Übelwollen anderer
Staaten auf sich ziehen; es würde ... in unangenehme Berührung mit anderen
kommen; es würde Nasenstüber erhalten, für die es keine Vergeltung hätte; dazu
ist unsere Flotte nicht stark genug!?'" Aber ich muß sagen, daß ich als der erste
Kanzler des neugeschaffenen Reiches doch eine gewisse Schüchternheit empfand,
eine Abneigung, mich so auszusprechen, und selbst wenn ich an diese unsere
Schwäche und Unfähigkeit geglaubt hätte, ich würde mich geniert haben, den Hilfe-
suchenden offen zu sagen: „Wir sind zu arm; wir sind zu schwach; wir sind zu
furchtsam, für Euren Anschluß an das Reich Euch Hilfe vom Reiche zu ge-
währen."
Ich habe nicht den Mut gehabt, diese Bankerotterklärung der deutschen Nation
auf überseeische Unternehmungen den Unternehmern gegenüber als Reichskanzler
auszusprechen. Wohl aber habe ich mich sehr sorgfältig bemüht, ausfindig zu
machen, ob wir nicht in unberechtigter Weise in wohlerworbene ältere Rechte
anderer Nationen eingriffen, und die Bemühungen mich darüber zu vergewissern,
haben mehr als ein halbes Jahr Zeit erfordert... Es ist sodann ... darauf hin-
gewiesen, daß unsere Kolonialunternehmungen ganz außerordentlich kostspielig
seien und unseren notleidenden Reichsschatz in eine noch schlimmere Lage bringen
würden als jetzt. Es ist das allerdings richtig, wenn wir, wie das früher bei ähn¬
lichen Versuchen geschehen ist, damit anfangen wollten, eine Anzahl von oberen
und unteren Beamten dort hinzuschicken und zunächst eine Garnison dort hin¬
zulegen, Kasernen, Häsen und Forts zu bauen. Das ist aber nicht entfernt unsere
Absicht, wenigstens die meinige nicht. Meine von Sr. Majestät dem Kaiser ge-
billigte Absicht ist, die Verantwortlichkeit für die materielle Entwicklung der
Kolonie ebenso wie ihr Entstehen der Tätigkeit und dem Unternehmungsgeiste
unserer seefahrenden und handeltreibenden Mitbürger zu überlassen und weniger
m der Form der Annektierung von überseeischen Provinzen an das Deutsche
Reich vorzugehen, als in der Form von Gewährung von Freibriefen nach Gestalt
der englischen Royal-Charters^) im Anschluß an die ruhmreiche Laufbahn, die die
englische Kaufmannschaft bei Gründung der Ostindischen Kompagnie zurückgelegt
hat, und den Interessenten der Kolonie zugleich das Regieren derselben im
wesentlichen zu überlassen und ihnen nur die Möglichkeit europäischer Jurisdiktion
für Europäer und desjenigen Schutzes zu gewähren, den wir ohne stehende
Garnison dort leisten können.
Unsere Absicht ist, nicht Provinzen zu gründen, sondern kaufmännische Unter¬
nehmungen, aber in der höchsten Entwicklung auch solche, die sich eine Souveräni¬
tät, eine schließlich dem Deutschen Reiche lehnbar bleibende, unter seiner Protektion
stehende kaufmännische Souveränität erwerben, zu schützen in ihrer freien Ent¬
wicklung sowohl gegen die Angriffe aus der unmittelbaren Nachbarschaft, als auch
gegen Bedrückung und Schädigung von feiten anderer europäischer Mächte. Im
übrigen hoffen wir, daß der Baum durch die Tätigkeit der Gärtner, die ihn
pflanzen, auch im ganzen gedeihen wird, und wenn er es nicht tut, so ist die
Pflanze eine verfehlte, und es trifft der Schade weniger das Reich — denn die
1) Königliche Gnadenbriefe. Die englische Ostindische Kompagnie eroberte aus eigener
Kraft fast ganz Vorderindien.