Full text: Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart (Teil 3)

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121. 
Hindenburg. 
Quelle: Sven Hedin^), Nach Osten. Leipzig 1916. S. 8—15. 
Kurz vor 8 Uhr begab ich mich in die Villa des Oberbefehlshabers. Von der 
Straße war sie durch ein Gitter getrennt, und über dem Garteneingang las man 
auf einem ovalen Schild, ähnlich einem kleinen Triumphbogen, die beiden Worte: 
„Herzlich willkommen!" 
Im Salon versammelten sich die Offiziere des Stabes und die Gaste des 
Tages. Zuletzt kam Generalleutnant Ludendorff. Man unterhielt sich in kleinen 
Gruppen. Punkt 8 Uhr vernahm man im Nebenzimmer die schweren, gemessenen 
Schritte des Feldmarschalls, und eine stattliche, volle, kräftig gebaute Gestalt er- 
schien auf der Schwelle. Ich brauche nicht erst den Versuch zu machen, diese 
ernsten, herben, strengen Züge zu beschreiben, die wehmütigen, aber freundlichen 
Augen, den festen Mund, das aufrechtstehende graue Haar und den dichten, in 
scharfem Bogen abwärts gehenden Schnurrbart. Das Bild ist jedem Deutschen 
und jedem Schweden bekannt. Als ich vor dem berühmten Manne stand, dachte 
ich an die alten Germanen im Teutoburger Walde. Seine Taten werden tote die 
ihren bis ans Ende der Zeiten leben; denn sie haben sich dem Volksbewußtsein 
sofort als übermenschlich eingeprägt, und die Liebe des Volkes hat seinen Helden 
schon jetzt mit dem Schimmer der Sage umwoben. 
Hindenburg ist auch ein Sproß von uraltem germanischen Häuptlingsstamm, 
selber ein Häuptling. Nicht etwa die einzelnen Gesichtszüge sind merkwürdig und 
verraten ungewöhnliche Eigenschaften — wäre der Sieger von Tannenberg ein 
deutscher Bauer, so würde niemandem sein Aussehen auffallen. Man würde nur 
sagen, dieser Bauer habe außergewöhnlich kräftige, männliche und grundehrliche 
Züge, und man würde vermuten, daß er die 68 Jahre seines Lebens viel ge¬ 
arbeitet und gegrübelt habe. Die Gestalt und der große Kopf, der Mann selbst 
sagt, was und wer er ist, der Feldherr, der die moskowitische Dampfwalze zer¬ 
brach, und der auf dem Posten, auf den ihn sein Kaiser und Herr gestellt hat, fort- 
fahren wird, Deutschlands Feinde zu vernichten. 
So sah ich ihn das erste Mal, die personifizierte Sicherheit und Zuverlässig- 
keit, eine Atmosphäre von unerschütterlicher Ruhe ausstrahlend. Und ich begriff 
etwas von der Macht der Persönlichkeit im Kriege, der Macht, mit der der Heer- 
führet über die Masse gebietet 
Ich hatte später noch oft die Ehre, Hindenburgs Gast zu sein, und er gab 
mir da verschiedene Einblicke in seinen Lebensgang. Auf diesen Mitteilungen, vor 
allen Dingen aber auf dem Bericht, den mir eines Abends sein Schwiegersohn 
gab, ist die folgende kurze Schilderung aufgebaut. 
Als etwas Charakteristisches will ich zuerst hervorheben, daß Hindenburg 
während des russischen Feldzuges so wenig wie nur möglich seine Friedens- 
gewohnheiten geändert hat. Er arbeitet, geht spazieren, ißt und schläft zur gleichen 
Zeit und ebenso lange wie im Frieden. Er läßt sich in seinen Gewohnheiten und 
in seiner Ruhe nicht stören. Er hält an dem fest, was ihm einmal lieb und nützlich 
geworden, und was ihm wohlbekommt. 
i) Sven Hedin ist der bekannte schwedische Forscher und Weltreisende, der im Früh, 
ling 1915 an der Ostfront weilte.
	        
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