fullscreen: Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands

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185. TDas Gott tut, bas ist wohlgetan. 
von dem alten Spruch nicht loskommen: „Hin geht die Zeit, her kommt der 
Tod." Aber ein willkommener Bote war er ihm nicht. „Fünfundzwanzig Jahre 
alt und schon sterben! Habe bis vor Jahresfrist in meinem Leben nichts gehabt, 
als viele Mühe und schmale Kost. Jetzt sitze ich in Amt und Würden, bei 
voller Schüssel, da kommt das Ende. Ja, ja, je tiefer ein Nagel in der Wand 
steckt, desto schwerer ist es, ihn herauszuziehen." Da schlug es auf dem grünen 
Türmchen der Stadtkirche 8 Uhr. Es pochte leise an die Tür und herein 
trat ein junger Mann mit frischem Gesicht und blauen, sinnigen Augen. „Wie 
ist es seit Mittag gegangen, Severus?" „Ach, Samuel, das Fieber macht einen 
Angriff nach dem andern; lange kann das der arme Leib nicht mehr aushalten. 
Es wird bald mit mir aus und vorbei sein. Aber du kommst heute spat, 
Samuel; es hat mich lange nach dir verlangt." „Seit einigen Stunden schon 
bin ich um dich gewesen, habe eine Arzenei bereitet für deine Seele. Hilf, 
Gott, daß sie auch dem Leibe zu gute kommt!" Mit diesen Worten rückte er 
die Bibel ein wenig von der Lampe weg und las dem Jugendfreunde das Lied 
vor: „Was Gott tut, das ist wohlgetan." — Er war fertig. „Lies mir's 
noch einmal, Samuel!" — „So wird Gott mich ganz väterlich in seinen Armen 
halten, drum laß ich ihn nur walten", wiederholte der Kantor mit leiser, aber 
fröhlicher Stimme. Während einer Viertelstunde war nichts zu hören als der 
eintönige Schlag der Wanduhr und das Schnurren der Katze, die sich auf dem 
weichen Lager unter dem Ofen gütlich tat. Über die eingefallenen Backen des 
Kantors schlich sich eine Träne nach der andern; mit jeder fiel ein Sorgen - 
und Angststein von seiner Seele. „Habe Dank, Herzensfreund. Ich kann mit 
Dr. Martino sagen: Es war ein wunderlicher Krieg, da Tod und Leben rungen: 
das Leben, das behielt den Sieg und hat den Tod verschlungen. Nun sterbe 
ich fröhlich und, gebe es Gott! selig. Du hast mir den Tod zu einem Engel 
Gottes gemacht, der eine gar fröhliche Botschaft bringt: der Vater holt sein Kind 
heim zu ewiger Freude im Vaterhause." 
„Gut, daß du kommst, Samuel", sagte am Morgen der Kantor zu 
seinem Freunde, „dein Lied hat die ganze Nacht bei mir Wache gehalten, daß 
die Angst des Sterbens und die Gedanken der langen Todesnacht keine Macht 
an mir gefunden haben. Aber wir wollen auch im Tode verbunden bleiben. 
Du hast das Lied gemacht, ich die Melodie, diese Nacht. Setze dich her, ich 
will sie dir diktieren. Wenn sie in ein paar Tagen mich begraben, soll sie die 
Kantorei musizieren, aller Welt zur Kunde, daß einer im Glauben an seinen 
Vater im Hinnnel fröhlich von hinnen gegangen ist." Der Freund setzte die 
Melodie auf, es ist dieselbe, die du so oft gehört, selber gesungen hasD 
In Gottes Rate war es anders beschlossen, als die beiden Freunde dachten. 
Der Kantor genas von seiner Krankheit, aber der siegreichen Schlacht, die er an 
jenem Abend mit seines Freundes Waffen wider den Tod geschlagen, hat er 
nimmer vergessen; jede Woche mußten ihin die Kurrendschüler das Lied unter 
seinem Fenster singen. So ist es denn geschehen, daß es mancher fromme Student 
gehört und mit in sein Vaterland zurückgenommen hat, daher es denn gar bald 
in der lutherischen Kirche bekannt geworden ist. 
Und wer war Samuel? Ein paar Wochen später wanderte er von Jena 
aus nach Groben, einem freundlichen Dörfchen, 1 Stunde von Roda gelegen.
	        
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