Full text: Deutsche Geschichte bis 1648 (Teil 1)

Nichts Blutigeres gab es je als das Schlachten dort in den Sümpfen 
und Waldern Germaniens. Vorzugsweise hatten es die Feinde auf die 
Sachwalter abgesehen. Einigen stachen sie die Augen aus, anderen schnitten 
sie die Hände ab; einem nähten sie den Mund zu, nachdem sie ihm die 
Zunge ausgerissen hatten. Diese nahm einer der Barbaren in die Hand und 
sprach: „Nun höre endlich auf zu zischen, Schlange!" 
Als Augustus von dieser großen Niederlage Kunde erhielt, war er so 
niedergeschlagen, daß er mehrere Monate hindurch Haar und Bart wachsen 
ließ. Bisweilen stieß er den Kopf gegen die Tür und rief dabei aus: 
„Varus, gib mir die Legionen wieder!" Den Tag der Niederlage beaina 
er alljährlich als einen Tag tiefer Trauer. 
3. Jer Wachekrieg des Kermanikus. 
_ Cornelius Tacitus: Die Annalen (Jahrbücher). Lateinisch. Der Geschicht- 
schreiber Tacitus ist vermutlich im Jahre 54 n. Chr. geboren. Seine Annalen reichen 
vom Tode des Kaisers Augustus bis zum Jahre 68. Er benutzte die besten Quellen und 
war bestrebt, wahr und unparteiisch zu schreiben. Armins Heldengestalt bewundert er. 
Uber den zweiten und dritten Zug des Germanikns berichtet Tacitus: 
Im Anfange des Frühjahrs 15 begann Germanikus den Feldzug mit 
einem plötzlichen Einfall in das Land der Chatten. Er hoffte, daß der 
Feind geteilt auf des Arminius und Segestes Seite stehen würde, jenes 
Segeft, der einst dem Varus hinterbracht hatte, daß die Germanen zu einer 
Erhebung sich rüsteten, und der ihm geraten hatte, Armin und die übrigen 
Fürsten in Fesseln zu legen. Jetzt war des Segestes Groll gegen Armin 
durch persönliche Kränkung zu bitterem Haß gesteigert; denn Armin hatte 
ihm die Tochter Thusnelda, die einem anderen verlobt war, entführt. Verhaßt 
war ihm der Schwiegersohn, dieser ein Feind seines Schwiegervaters. 
Nach kurzem, blutigem Kampfe gegen die Chatten wandte sich Germanikus 
zurück an den Rhein. Da erschienen Gesandte von Segestes und baten um 
Hilfe gegen die Gewalt seiner Volksgenossen, die ihn auf Armins Anstiften, 
der zum Kampfe trieb, bedrängten. Germanikus hielt es der Mühe wert, 
das Heer umkehren zu lassen. Es kam zu einem Kampfe gegen die Be- 
dränger. Segestes wurde gerettet, zugleich mit ihm eine große Menge von 
seiner Sippe und seinen Mannen. Edle Frauen waren dabei, unter ihnen 
die Gattin Armins, des Segestes Tochter, mehr dem Gatten als dem 
Vater an Gesinnung ähnlich. Keine Träne vergoß sie, kein Laut des 
Schmerzes entrang sich ihrer Brust. Die Hände in die Falten ihres Ge¬ 
wandes drückend, schaute sie wortlos auf den Boden. Bald nachher schenkte 
sie einem Knaben das Leben, der zu Ravenna aufgezogen und von widrigem 
Geschick verfolgt wurde.*) 
Armin aber wurde, als ihm sein Weib geraubt war, zu wahnsinniger 
Wut entflammt. Hin und her eilte er durch das Cheruskerland und rief 
gegen Segeft, gegen Germanikus zu den Waffen. Er reizte nicht nur die 
Cherusker auf, sondern auch die benachbarten Völkerschaften, und es wuchs 
die Besorgnis des Germanikus. Er sandte seinen Feldherrn Cäcinna mit 
vierzig römischen Kohorten durch das Gebiet der Brukterer an den Fluß 
*) Nach Strabo, dem berühmten Geographen des Altertums (f 24 n. Chr.), hieß 
Armins Sohn Thumelikus. Er soll Gladiator geworden und in der Arena gefallen sein.
	        
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