Full text: Quellenbuch zur Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts für höhere Lehranstalten

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Aus bcr Zctr der Rcichsqründung. 
wir die Angegriffenen seien, und die gallische Uberhebung und Reiz¬ 
barkeit wird uns dazu machen, wenn wir miteuropäischer Öffent¬ 
lichkeit, so weit es uns ohne das Sprachrohr des Reichstags möglich 
ist, verkünden, daß wir den öffentlichen Drohungen Frankreichs furchtlos 
entgegentreten." 
Diese meine Auseinandersetzung erzeugte bei den beiden Generalen 
einen Umschlag zu freudiger Stimmung, dessen Lebhaftigkeit mich über¬ 
raschte. Sie hatten plötzlich die Lust zu essen und zu trinken wieder¬ 
gefunden und spracheu in heiterer Laune. Roon sagte: „Der alte Gott 
lebt noch und wird uns nicht in Schande verkommen lassen." Moltke 
trat so weit aus seiner gleichmütigen Passivität heraus, daß er sich, mit 
freudigem Blick gegen die Zimmerdecke und mit Verzicht auf seine sonstige 
Gemessenheit in Worten, mit der Hand vor die Brust schlug und sagte: 
„Wenn ich das noch erlebe, in solchem Kriege unsre Heere zu führen, so 
mag gleich nachher, ,die alte Carcasse^3) der Teufel holen." Er war 
damals hinfälliger als später und hatte Zweifel, ob er die Strapazen des 
Feldzugs überleben werde. 
1) Vgl. dazu den Abschnitt aus Lenz' „Geschichte Bismarcks" in meinem 
„Geschichtl. Lesebuch". 
2) Fanfare Angriffssignal, Chamade Signal, daß man unterhandeln will. 
3) Gerippe. 
e) Brief des Königs an die Königin, Berlin, 15. Juli 
1870, über die Fahrt nach Berlin. 
Meine Reise also glich in und von Ems bis hier einem Triumph- 
zuge, ich habe so etwas nicht geahnt, nicht für möglich gehalten. Alle 
Bahnhöfe überfüllt, auch die, wo nicht gehalten wurde; in Cassel eine 
Adresse des Magistrats, in Göttingen die ganze Universitätsjugend; von 
Braunschweig hatte ein Extrazug Hunderte von Menschen an meine 
Station gebracht; in Magdeburg waren alle Wagen und Transportwagen 
mit Menschen besetzt; in Potsdam der Perron Kopf an Kopf, und nun 
hier! Eine solche Masse Menschen und Wagen alle aufgefahren neben¬ 
einander vom Bahnhof, Anhaltstraße, Königgrätzerstraße bis zum Bran¬ 
denburger Thor und unter den Linden auf der anderen Seite, alle Fenster 
voller Menschen, Illumination und an dem Palais unabsehbar Menschen, 
denen ich mehrere Male am Fenster und unter der Veranda [mich] zeigen 
mußte, und noch diesen Moment, y2ll Uhr, dauert das Singen und 
Schreien fort!! Mich erfüllt eine komplette Angst bei diesem Enthusias¬ 
mus, denn was für Chancen bietet nicht der Krieg, wo all dieser Jubel
	        
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