Full text: Das Mittelalter und die neue Zeit bis 1648 (Teil 2)

Stiftsschulen, wie die zu Paderborn, Hildesheim, Bremen, Lüttich, 
Utrecht u. a., lebendige Pflegestätten der Bildung in finstern und sturm¬ 
vollen Zeiten. Die älteren Klosterschulen nahmen unter der neuen An- 
regung einen erfreulichen Aufschwung. Vor allen gediehen St. Gallen 
und Reichenau zu ihrer schönsten Blüte. Hier wie auch anderswo wurde 
die alte klassische Kultursprache, das Latein, hie und da auch wohl etwas 
Griechisch eifrig betrieben. Vergil war der gefeiertste Schriftsteller des 
Zeitalters. Lateinisch war die Sprache nicht bloß der kirchlichen, sondern 
überhaupt der vornehmen Kreise. Der Mönch Eckehard IV. von St. 
Gallen las mit der schönen Schwabenherzogin Hadwig, die die Tage ihres 
Witwenstandes auf der Feste Hohentwiel verbrachte, den Vergil. Ein 
anderer St. Galler Klosterbruder, Notker Läbeo, machte von den Psalmen 
und dem Buche Hiob deutsche Übersetzungen, die sehr geschätzt waren. In 
Fulda, Hersseld und Korvey fuhren die Mönche fort, die Wissenschaften 
mit Eifer und Liebe zu pflegen. In Korvey schrieb Widukind seine 
sächsische Geschichte in lateinischer Sprache, wie überhaupt die Geschicht- 
schreiber damaliger Zeit sich nur der lateinischen Sprache bedienten und 
die alten Schriftsteller in Stil und Manier nachzuahmen suchten. In den 
Nonnenklöstern zu Quedlinburg und Gandersheim, wo Ottos Tochter 
Mathilde und ihre Verwandte Gerberga Äbtissinnen waren, lasen die Nonnen 
neben den Heiligenleben auch den Vergil; die Nonne Roswitha in Ganders- 
heim pries in lateinischen Reimversen die Thaten des großen Otto und ließ 
ihre geistlichen Komödien vor einem erlauchten Damenpublikum aufführen. 
Der Hof der Ottouen wurde der Sammelplatz aller hervor- 
ragenden Geister des Abendlandes; mochte das wandernde Fürstenlager 
in Magdeburg und Quedlinburg oder in Frankfurt und Regensburg oder 
jenseits der Alpen in Pavia und Rom verweilen, überall herrschte ein ge- 
hobenes geistiges Leben, das zunächst die oberen Schichten der Gesellschaft 
berührte, die Glieder der kaiserlichen Familie, die höhere Geistlichkeit, die 
fürstlichen und adligen Geschlechter, allmählich aber auch in weitere Kreise 
drang. Und wenn auch gewöhnlich die lateinische Sprache als Mittel des 
Gedankenausdruckes diente, und nur selten deutsche Laute in deutsche Schrift 
gekleidet wurden, so drückten doch die Deutschen auch dem, was sie als 
fremdes Gut empfingen, das Gepräge ihres eignen Geistes auf. Auch die 
Dichter am Hofe und in den Klöstern bedienten sich ausschließlich der 
lateinischen Sprache, selbst wenn sie einheimische Sagen, die Tiersage und 
die Heldensage, bearbeiteten. Hat doch auch der St. Galler Mönch Ecke- 
hard I. sein herrliches Waltharilied in lateinische Verse und damit in 
hoffähige Form gebracht.
	        
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