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oberte die Stadt Edessa, und errichtete hier ein Fürstenthum Edessa,
den ersten Staat, den die Kreuzfahrer im Morgenlande grüirdeten.
Noch ehe das Heer Klein-Asien verließ, hätte es beinahe den trefflichen
Bouillon eingebüßt. Er ritt eines Tages, nur halbbewasfnet, mit mehreren
Gefährten vom Lager in einen tiefen Wald, um zu jagen. Der erquickenden
Kühle nachgehend, verirrt er sich von denselben, und hört nun plötzlich einen
ängstlichen Hülseruf. Er eilt der Stimme nach, und findet einen Kreuz¬
soldaten, der von einem großen Bären angefallen ist, und mit ihm auf Tod
und Leben kämpft. Gottfried zieht schnell das Schwert, und greift das Un¬
thier an. Dieses aber läßt nun seine erste Beute fahren, fällt den mannhaften
Ritter an, springt an ihm hinauf, und reißt Roß und Mann zu Boden. Mit
ungeheuren Tatzen umklammert es i^n, und Gottfried scheint verloren. Plötz¬
lich aber rafft er sich auf, reißt sich los aus der gräßlichen Umarmung, und
rennt ihm das Schwert in den Leib. Unglücklicherweise aber ist der Stoß
nicht tödtlich. Der Bär, durch die Verwundung noch wüthender gemacht,
haut seine Tatzen aufs Neue dem Ritter in das Fleisch; der Kampf wird
immer heftiger und hoffnungsloser; Gottfrieds Kräfte schwinden immer mehr
und mehr; athemlos sieht er den Augenblick sich nähern, wo er eine Beute
des Ungeheuers werden muß. Da sprengt einer der Iagdgefährten, durch das
Geschrei und Gebrüll herbeigernfen, herzu, und stürzt das Thier endlich zu
Boden. Aber Gottfried war so ermattet und zerfleischt, daß man ihn auf
einer eilig aus Zweigen bereiteten Trage ins Lager tragen mußte, und er erst
nach mehreren Wochen wieder das Pferd besteigen konnte.
Jetzt hatten die Kreuzfahrer das südöstliche Ende von Klein-Asien erreicht,
und wendeten sich rechts nach Syrien, dessen Hauptstadt Antiochia war.
Sie beschlossen, die Belagerung sogleich vorznnehmen. Aber die Stadt hatte
eine doppelte, sehr dicke Mauer, und 450 Thürme, dabei eine muthige Be¬
satzung. Das hielt die Kreuzfahrer nicht ab, die Belagerung anzusangen.
Indessen vergingen drei Monate, ohne daß man etwas gewonnen hatte, weil
man die Stadt wegen ihrer Größe und ihrer Lage nicht von allen Seiten
einschließen konnte, und die Noth wurde im Lager täglich größer. Der Hunger
wüthete gräßlich, der Regen durchnäßte die Zelte, die Pilger starben in solcher
Menge, daß es an Raum fehlte, sie zu begraben, und von 70,000 Pferden
waren bald nur noch 2000 übrig. Da sank freilich den Meisten der Muth;
der frühere Enthusiasmus war längst abgekühlt; Wenige waren, die sich nicht
nach Hause gesehnt hätten, und wirklich schlich sich Mancher fort. Unter
diesen war selbst Kukupeter, der doch die Seele der ganzen Unternehmung
gewesen war. Aber man merkte bald seine Flucht. Tankred saß auf, und
jagte ihm nach; er holte ihn auch bald ein, und brachte ihn unter dem Ge¬
lächter des Heeres wieder zurück. Selbst unter den Fürsten waren Uneinig¬
keiten entstanden; einer beneidete den andern, und wäre nicht der edle Gott¬
fried gewesen, der über alle die kleinlichen Umtriebe erhaben war, so wäre
das ganze Heer aus einander gegangen.
Von den Kämpfen, die sich täglich vor den Mauern von Antiochia er¬
eigneten, ließe sich viel erzählen, wenn der Raum es erlaubte. Es wurden
hier Thaten gethan, welche an die Zeit der Helden von Troja und Griechen¬
land erinnern. Nur leider war die große Erbitterung Schuld, daß auch
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