Metadata: Mittlere Geschichte (Theil 2)

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oberte die Stadt Edessa, und errichtete hier ein Fürstenthum Edessa, 
den ersten Staat, den die Kreuzfahrer im Morgenlande grüirdeten. 
Noch ehe das Heer Klein-Asien verließ, hätte es beinahe den trefflichen 
Bouillon eingebüßt. Er ritt eines Tages, nur halbbewasfnet, mit mehreren 
Gefährten vom Lager in einen tiefen Wald, um zu jagen. Der erquickenden 
Kühle nachgehend, verirrt er sich von denselben, und hört nun plötzlich einen 
ängstlichen Hülseruf. Er eilt der Stimme nach, und findet einen Kreuz¬ 
soldaten, der von einem großen Bären angefallen ist, und mit ihm auf Tod 
und Leben kämpft. Gottfried zieht schnell das Schwert, und greift das Un¬ 
thier an. Dieses aber läßt nun seine erste Beute fahren, fällt den mannhaften 
Ritter an, springt an ihm hinauf, und reißt Roß und Mann zu Boden. Mit 
ungeheuren Tatzen umklammert es i^n, und Gottfried scheint verloren. Plötz¬ 
lich aber rafft er sich auf, reißt sich los aus der gräßlichen Umarmung, und 
rennt ihm das Schwert in den Leib. Unglücklicherweise aber ist der Stoß 
nicht tödtlich. Der Bär, durch die Verwundung noch wüthender gemacht, 
haut seine Tatzen aufs Neue dem Ritter in das Fleisch; der Kampf wird 
immer heftiger und hoffnungsloser; Gottfrieds Kräfte schwinden immer mehr 
und mehr; athemlos sieht er den Augenblick sich nähern, wo er eine Beute 
des Ungeheuers werden muß. Da sprengt einer der Iagdgefährten, durch das 
Geschrei und Gebrüll herbeigernfen, herzu, und stürzt das Thier endlich zu 
Boden. Aber Gottfried war so ermattet und zerfleischt, daß man ihn auf 
einer eilig aus Zweigen bereiteten Trage ins Lager tragen mußte, und er erst 
nach mehreren Wochen wieder das Pferd besteigen konnte. 
Jetzt hatten die Kreuzfahrer das südöstliche Ende von Klein-Asien erreicht, 
und wendeten sich rechts nach Syrien, dessen Hauptstadt Antiochia war. 
Sie beschlossen, die Belagerung sogleich vorznnehmen. Aber die Stadt hatte 
eine doppelte, sehr dicke Mauer, und 450 Thürme, dabei eine muthige Be¬ 
satzung. Das hielt die Kreuzfahrer nicht ab, die Belagerung anzusangen. 
Indessen vergingen drei Monate, ohne daß man etwas gewonnen hatte, weil 
man die Stadt wegen ihrer Größe und ihrer Lage nicht von allen Seiten 
einschließen konnte, und die Noth wurde im Lager täglich größer. Der Hunger 
wüthete gräßlich, der Regen durchnäßte die Zelte, die Pilger starben in solcher 
Menge, daß es an Raum fehlte, sie zu begraben, und von 70,000 Pferden 
waren bald nur noch 2000 übrig. Da sank freilich den Meisten der Muth; 
der frühere Enthusiasmus war längst abgekühlt; Wenige waren, die sich nicht 
nach Hause gesehnt hätten, und wirklich schlich sich Mancher fort. Unter 
diesen war selbst Kukupeter, der doch die Seele der ganzen Unternehmung 
gewesen war. Aber man merkte bald seine Flucht. Tankred saß auf, und 
jagte ihm nach; er holte ihn auch bald ein, und brachte ihn unter dem Ge¬ 
lächter des Heeres wieder zurück. Selbst unter den Fürsten waren Uneinig¬ 
keiten entstanden; einer beneidete den andern, und wäre nicht der edle Gott¬ 
fried gewesen, der über alle die kleinlichen Umtriebe erhaben war, so wäre 
das ganze Heer aus einander gegangen. 
Von den Kämpfen, die sich täglich vor den Mauern von Antiochia er¬ 
eigneten, ließe sich viel erzählen, wenn der Raum es erlaubte. Es wurden 
hier Thaten gethan, welche an die Zeit der Helden von Troja und Griechen¬ 
land erinnern. Nur leider war die große Erbitterung Schuld, daß auch 
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