Full text: Geschichte der Neuzeit von 1786 bis 1900 (Teil 6)

70 VHI. Die Gründung der Nationalstaaten und des Verfassungslebens. 
seinen Händen, und somit blieb die Grundlage des preußischen Staats- 
Wesens feudal. 
Ein mächtiges Mittel zur innern Vereinigung der Volksteile wurde 
die Pflege der Bildung in der Volksschule wie in den höheren 
Lehranstalten. 
Reform der Die Neuordnung der tief zerrütteten preußischen Finanzen war ebenso 
steuern, dringend wie schwierig. Diese Reformen waren aber nur dadurch möglich, 
daß das Zollwesen von Grund aus geändert und der Ausfall ber 
städtischen Warenzölle (Akzise) burch bie Einnahmen aus staatlichen Grenz- 
zöllen gebeckt würbe. So würbe bie Stabt- ünb Territorialwirtschaft 
enbgültig burch bie Staatswirtschaft abgelöst unb bas bebeutenbste Mittel 
ergriffen, um nicht nur alle Lanbschasten ber Monarchie wirtschaftlich zu 
vereinigen sonbern auch die wirtschaftliche Einigung Deutschlands anzubahnen. 
Reform des Zunächst wurden am il. Juni 1816 alle Waffer-, Provinzial- 
Zollwe^ens. und Binnenzölle aufgehoben und damit die Freiheit bes Güterverkehrs 
unb bie Einheit bes innern Marktes für bas ganze Staatsgebiet hergestellt. 
Alsdann würbe bas von bent tatkräftigen, Weitblickenben Karl Maaßen ent- 
worfene neue Zo"llgefetz vom Könige vollzogen (1818). Es war bas erste 
in Europa, bas unter Aufhebung jebes Ein- unb Ausfuhrverbots auf bcm 
Grunbfatz bes freien Hanbelsverkehrs mit mäßigen Finanz- unb Schutzzöllen 
beruhte.*) Preußen mußte für fein kühnes Vorgehen ben Sturm ber Ent¬ 
rüstung aller Neiber innerhalb unb außerhalb Deutfchlanbs über sich ergehen 
lassen. An bie Stelle ber Kontrolle an jebern Stabttor trat bie Grenz- 
6e machung, bie bisher amtlich anerkannten 71 Münzsorten wurden burch 
eine einheitliche ersetzt. Aber,bie Trennung ber Monarchie in zwei Hälften 
unb bie Verflechtung ihrer Hanbelsintereffen mit benen ber Nachbarstaaten 
brängten bahin, bies Zollsystem auf ganz Deutfchlanb zu übertragen, ein 
Friedrich List, Gebanke, beffen Hauptüerkünbiger ber geniale Friebrich List, ein Württem¬ 
berger (1789—1846), ber größte allbeutsche Nationalökonom, würbe. 
Preußenhaß, 5. Sachsens politische und wirtschaftliche Entwicklung von 1815 
bis 1830. Sachsen sah in Preußen bett Urheber seiner tiefen Erniebrtgung, 
fortan war es vom bittersten Grolle gegen den Nachbar im Norden erfüllt. 
Rasch vergaß es die Untaten der Franzosen und die Drangsale des Kriegs; 
dem Beispiele der führenden Kreise folgend, schwärmte sein Volk noch 
lange für Bonaparte unb hoffte von Österreich bie Wieberherstellung bes 
alten Zustanbes. In feinem Preußenhasse verkannte es bie Tatsache, baß 
es politisch unb wirtschaftlich von ber norddeutschen Vormacht abhängig 
war. Völlig verbittert durch das Unglück ber vergangenen Jahre, zog es 
sich ganz auf sich selbst zurück. Jnbem es sich aber von ben großen Fragen 
bes politischen Lebens abwanbte, verengte sich sein Denken, unb es versank 
in einen Zustanb ibyllisch srieblichen, aber auch regungslos schläfrigen 
Stillebens. 
Fortbestand des Vergeblich waren bie Stürme ber abgelaufenen Periobe über ben stark 
alten Systems, verwitterten Bau bes sächsischen Staates hinweggebraust. König Friebrich 
August, infolge seines hüben Geschicks bem Neuen abgeneigt, bazu fest 
*) Näheres s, Wölfs, Grundriß S. 96 f.
	        
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