Full text: Deutsche Geschichte bis zum Ausgange des Dreißigjährigen Krieges (Bd. 1)

Lamprecht: Die Urzeit Deutschlands. 
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Hier vornehmlich ergeben zahlreiche Funde jene herrlichen Steinwerk- 
zeuge. Messer und Sägen. Meißel und Äxte, Beile und Schaber zum Gerben 
der Felle, die sich durch zierliche Bearbeitung den besten Erzeugnissen aller 
bisher bekannten Steinzeiten einreihen. Hier werden Töpfe ausgegraben 
mit eingeritztem und weiß ausgefülltem Ornament, deren geschmackvolle Form 
überrascht, obgleich sie ohne Drehscheibe hergestellt wurden. Auch sonst fehlt 
es nicht am Sinn für primitiven Luxus; man trug Schmuckstücke aus 
Knochen und Bernstein; in kunstvoll gewebte und gefärbte Wollgewande 
gekleidet, schritt man einher, und die Krieger erschienen schon wohlgerüstet 
für Abwehr und Angriff. Bernstein ward auch zu Röhren und Knöpfen, 
zu Scheiben und Ringen, zu Hängestücken in Form von Äxten und Pfeilen, 
von Schiffchen und menschlichen Figuren verarbeitet und ging im Tausch- 
Handel durchs Land. 
Im übrigen waren die materiellen Grundlagen des Lebens einfach; 
von gezähmten Tieren waren wohl nur Pferd und Rind, Schaf und Schwein, 
vielleicht auch die Ziege bekannt; die Hauptnahrung bestand noch in den 
Ergebnissen der Jagd und des Fischfangs; Ackerbau ward schwerlich schon in 
größerer Ausdehnung geübt, obgleich steinerne Handmühlen gefunden werden. 
Über den Charakter der sozialen und geistigen Kultur gestatten die 
Gräber nach Anlage und Befund nur wenige Vermutungen. Es ist die 
Zeit der Dolmen, freistehender Grabkammern aus großen Steinblöcken, 
und der Ganggräber, einer Dolmenart mit übergeworfenem Erdhügel und 
kellerartigem Eingang: beides Formen, deren Bauart und Größe sie zu 
Massengräbern sür fünfzig, ja bis zu hundert Leichen bestimmt. Der Gedanke 
liegt nahe, daß sie von je einem Geschlechte, der niedersten Gruppe natür¬ 
licher nationaler Gliederung, gemeinsam errichtet und benutzt wurden. Die 
einzelne Leiche aber ward in ihnen oder auch in geringeren Anlagen, den 
sogenannten Steinkisten, unverbrannt, in sitzender oder liegender Stellung 
bestattet, und die Beigaben deuten auf den Glauben an eine sinnlich, dem 
Erdenleben entsprechend gedachte Unsterblichkeit. 
Dies germanische Steinzeitalter ward schon früh von einer Bronze- 
knltur abgelöst, während die Gegenden östlich der Weichsel, das heutige 
Westpreußen, Ostpreußen und die baltischen Provinzen, sowie auch die Land- 
schaffen Posens und Schlesiens noch lange von einer primitiven Steinzeit 
beherrscht blieben, die erst durch das Vordringen der Hallstattkultur mit 
ihrem Bronze- und Eisengebrauch zugleich erschüttert ward. 
Literatur: Fubse, Die deutschen Altertümer. Sammlung Göschen. —- Hörnes, 
Urgeschichte der Menschheit. Sammlung Göschen. — Steinhausen, Germanische Kultur 
in der Urzeit. Leipzig, Teubner. — Arnold, Deutsche Urzeit. Gotha. 3. Aufl. 1881. 
— Gutsche und Schnitze. Deutsche Geschichte von der Urzeit bis zu den Karolingern. 
2 Bde. (Bibliothek deutscher Geschichte, herausgegeben von Zwiedineck-Sudeuhorst. Stutt- 
gart, Cotta.) — Streng wissenschaftlich: Müllenhoss. Deutsche Altertumskunde. Berlin 
1883—92. — Schräder, Sprachvergleichung und Urgeschichte. Jena 1890.
	        
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