Full text: Deutsche Geschichte bis zum Ausgange des Dreißigjährigen Krieges (Bd. 1)

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Kaufmann: Die Germanenstaaten auf römischem Boden. 
Staaten, gelangten in denselben zu Ehren und Einfluß und gestalteten auch 
infolge dieser freien Entfaltung ihres Wesens die Sitten, die Beschäftigung, 
die Religion und die Sprache der unter ihnen wohnenden Germanen nach 
und nach romanisch um. Dagegen waren alle wichtigen Einrichtungen des 
Rechts- und Staatslebens nicht nur anfangs germanisch, sondern sie erhielten 
sich auch so. Als die Franken längst französisch sprachen, war das Recht 
und der Staat Frankreichs eine Fortbildung altfränkischen Rechtes und alt¬ 
fränkischer Staatsordnung. Als die Westgoten und Langobarden nach langem 
Sträuben die Konfession der Römer annahmen, da blieben ihr Staat und 
ihr Recht in allen Hauptpunkten germanisch, in der Heeresverfassung, in der 
Gerichtsverfassung, in der Beamtenverfassung, in dem Königtum. Diese 
Tatsache ist schwer zu verstehen; denn die germanische Verfassung war zur 
Zeit der Gründung jener Staaten sehr unentwickelt, hatte keine Formen uud 
keine Begriffe für die tausend Verhältnisse und Bedürfnisse, welche der an 
Zahl und Bildung bedeutend überwiegende römische Teil der Bevölkerung 
ausgebildet hatte. Dazu kam, daß alle Gesetze, Formeln und Verordnungen 
in römischer Sprache geschrieben wurden und meist von Römern ihre bin¬ 
dende Fassung erhielten. Allein so manchen römischen Brauch auch die 
Germanen deshalb in ihre Rechtsordnungen aufnehmen mußten: alle diese 
Dinge blieben Einzelheiten und mußten sich so umgestalten, wie es die 
germanische Grundform des Staates forderte. In dem Kampfe des ger- 
manischen mit dem römischen Rechte erwies sich das germanische dauernd 
als das stärkere. 
Zur Erklärung dieser Tatsache genügt es nicht, darauf hinzuweisen, 
daß die römischen Staatseinrichtungen verkommen waren; der Hauptgrund 
lag darin, daß die Germanen in allen diesen Staaten den kriegerischen Abel 
bildeten. Zunächst würben sie sogar ausschließlich als Staaten ber Germanen 
Stacht, «so hießen sie auch: Staaten der Westgoten, der Burgunder, der 
Ostgoten. der Langobarden usw. Die Vandalen in Afrika und die Ostgoten 
in Italien find über dies Stabium nicht hinausgekommen. Bei den West- 
goten, Burgundern, Langobarden und Franken sind dagegen nach einem bald 
kürzeren, bald längeren Übergangszustand die Römer auch tatsächlich voll 
und ganz Bürger des germanischen Staates geworden. Und zwar war die 
Lösung in allen Staaten die, daß sich die Römer politisch germanisierten. 
Die Römer wurden politisch Goten, Burgunder, Franken, Langobarden. So 
blieben die Germanen trotz ihrer geringen Zahl in politischen Dingen das 
vorherrschenbe Element, währenb sie auf allen anderen Gebieten teilweise 
ober vollstänbig romanisiert würben. Jnbessen blieb die Ausgabe immer 
doch eine ganz ungeheure, und sie verzehrte die Kraft der Völker rasch. 
So konnten sie denn auch das Gebiet nicht in vollem Umfange behaupten. 
In Italien mußte das germanische Element mehrmals erneuert werden.
	        
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