Full text: Vom Westfälischen Frieden bis zum Ausbruch des Weltkrieges (Teil 2)

§ 158. Die jungtürkische Revolution 1908/09. 263 
es zu einer Vereinbarung ^ wUKLN^D^ uts^hl-and und 
Frankreich. Deutschland erkannte die politische Vorherrschaft 
Frankreichs in Marokko an; Frankreich verbürgte die Sicherstellung 
der deutschen wirtschaftlichen Interessen in Marokko und trat zur 
Ausgleichung ein größeres Stück seines Kolonialbesitzes im Kongo¬ 
gebiet („Neukamerun", etwa 280000 qkm, klimatisch! wohl un¬ 
günstig, aber reich an Elfenbein, Kautschuk und Holz) an das deutsche 
Kamerungebiet ab. Die Vorgänge in Marokko bewiesen, daß über? 
fein Stück Erde, wo deutsche Interessen in Frage kommen, ohne Rück¬ 
sichtnahme auf Deutschland entschieden werden könne. 
5. Noch vor dem Abschluß des Marokkoabkommens von 1911 be- Tripolis im. 
reitete Italien der Welt eine Überraschung. Da die Türkei noch 
unter den Nachwirkungen der Revolution litt und innere Wirren die 
Reformtätigkeit hemmten, so hielt die italienische Regierung die Ge- 
legenheit für günstig zur Ausführung eines Planes, zu dem die 
Westmächte ihr früher schon wiederholt die Zustimmung gegeben 
hatten. Sie schickte im Sept. 1911 ohne irgendeinen „vertretbaren 
Grund" eine Flotte nach Tripolis, ließ die Hauptstadt und andere 
Küstenplätze des türkischen Gebietes besetzen und brach somit einen 
Krieg mit der Türkei vom Zaune. Als Bundesgenosse Italiens und eine 
mit der Türkei eng befreundete Macht befand sich Deutschland in 
schwieriger Lage. Um nach keiner Seite hin eine Störung seiner Be- 
Ziehungen eintreten zu lassen, übernahm es den Schutz der Italiener 
in der Türkei und den der Türken in Italien. Der Krieg nahm einen 
für die Türkei ungünstigen Verlaus. Im Frieden zu Lausan ne 
(Okt. 1912) verzichtete sie auf ihren tripolitanischen Besitz. 
6. Den Grund zur Nachgiebigkeit der Türkei bildete eine von »S&ff 
anderer Seite heranziehende größere Gefahr. Griechenland, Bulgarien, rtie9l9I2?t9: 
Serbien und Montenegro waren zum „Balkanbund" zusammen¬ 
getreten, geleitet von dem ränkevollen russischen Minister des Aus- 
toärtigen Jswolski (späteren Botschafter in Paris), welchem als Ziel . 
seiner Bemühungen die Erschütterung der türkischen Macht und die 
Verstärkung des russischen Einflusses auf der Balkanhalbinsel vor- 
schwebte. Unter der Parole „Befreiung der christlichen Balkanvölker < 
vom türkischen Joch", in Wirklichkeit aber, um sich auf Kosten des 
dahinsiechenden Dsmanenreichs zu vergrößern, erklärten die im Bund 
vereinten Balkanstaaten an die Türkei den Krieg (Okt. 1912). In 
raschem Siegeslauf drangen sie von allen Seiten in das feindliche 
Gebiet ein: die Bulgaren belagerten Adrianopel (später erstürmt) 
und gelangten nach den siegreichen Schlachten bei Kirk-Kilisje und 
Lüle Buraas bis an die starkverschanzte Tschaldaldsch^Mnie^nord- 
westlich von Konstantinopel), wo sie allerdings auf einen für sie un- 
unüberwindbaren Widerstand der Türken stießen. Die Serben er-
	        
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