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Erdmannsdörffer: Brandenburg unter Georg Wilhelm.
Es war eine politische Wendung, die unter Umständen von günstigen
Folgen hätte begleitet sein können. Die Dinge hatten sich jetzt so gestaltet,
daß man sich in Berlin ernstlich die Frage vorlegen konnte, ob in der gegen-
wärtigen Lage der katholische Kaiser oder das protestantische Schweden den
Interessen Brandenburgs bedrohlicher sei. Eine Kapitalfrage für dieses
stellte sich jetzt in den Vordergrund, die der brandenburgischen Erbfolge in
Pommern. Das Aussterben des alten einheimischen pommerischen Herzogs-
geschlechtes stand bevor; für diesen Fall, der 1637 eintrat, war das durch
alte Verträge begründete Erbrecht des Hauses Brandenburg bisher immer
als zweifellos betrachtet worden. Aber zunächst war jetzt das Land in der
Hand der Schweden, und politische, merkantile und persönliche Interessen
der seit Gustav Adolfs Tod unumschränkt herrschenden schwedischen Aristo-
kratie ließen mit Sicherheit voraussehen, daß sie die wichtige Eroberung
nicht freiwillig herausgeben würden, auch nicht an den noch so berechtigten
Erben, auch nicht an den Schwager Gustav Adolfs, selbst wenn er im Bunde
mit ihnen war. Durch seinen Beitritt zum Prager Frieden erlangte Kur-
fürst Georg Wilhelm wenigstens eine neue feierliche Anerkennung seines
Anrechtes von feiten des Kaisers und die Aussicht aus seine Hilse zur Er-
oberung des Landes.
Der Versuch, diese mit einer eigenen geworbenen Armee und einigen
Hilfstruppen des Kaisers zu bewerkstelligen, stellt das erste und einzige
selbständige Eingreifen Brandenburgs in den Gang des Krieges dar. Es
hatte völliges Verderben zur Folge. Die Hilfe des Kaisers war dürftig;
man war in Wien erfreut, den Brandenburger zum offenen Bruch mit
Schweden getrieben zu sehen; aber seitdem Frankreich in den allgemeinen
Kamps eingetreten war, sah die kaiserliche Politik ihren Hauptgegner nur
noch in diesem; die Interessen Norddeutschlands traten zurück, und am
wenigsten wäre man gewillt gewesen, für die Erwerbung Pommerns durch
seinen rechtmäßigen Herrn große Opfer zu bringen. Aber die eigenen Kräfte,
die Georg Wilhelm ins Feld führen konnte, waren der Aufgabe entfernt
nicht gewachsen. Es war eine schnell zusammengeworbene kleine Armee, Zahl
und Ausrüstung ungenügend, die Führung meist in schlechten Händen, das
Offizierkorps zum Teil aus sehr zweifelhaften Elementen zusammengesetzt.
Der Feldzug zur Eroberung Pommerns, den man 1638 begann, nahm bald
den kläglichsten Verlauf; Kurfürst Georg Wilhelm selbst verließ gleich im
Anfang den Schauplatz seiner Niederlagen und begab sich nach Königsberg,
Graf Schwartzenberg blieb als Statthalter in den Marken zurück. Es gibt
in der Geschichte des Dreißigjährigen Krieges kaum ein Exempel schwach-
vollen Scheiterns, welches mit der Geschichte dieses „ersten Versuches der
Schöpfung einer größeren brandenburgischen Armee" zu vergleichen wäre.
Vermöge der schnödesten Veruntreuungen der mit den Werbungen beauf-