Programm der sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
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Meffert, Arbeiterfrage und Sozialismus. Mainz 1901. — Herkner, Die Arbeiter¬
frage. 3. Aufl. Berlin 1902. — Kahl, Die deutsche Arbeitergesetzgebung der Jahre
1883—1892 als Mittel zur Lösung der Arbeiterfrage. Freiburg i. Br. 1893. — Funk,
Arbeiterversicherungsgesetzgebung. 2. Aufl. Kassel 1903. — Nikel, Soziale Gesetzgebung
des Deutschen Reiches. 2. Aufl. 1893.
52. Programm der sozialdemokratischen Partei Deutschlands
beschlossen auf dem Parteitag zu Erfurt 1891.
Aus: Cathrein, Der Sozialismus. Eine Untersuchung seiner Grundlagen und seiner
Durchführbarkeit. Freiburg i. Br., Herder. 7. Aufl. 1898. S. 43.
Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Natura ot-
wendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes, dessen Grundlage das Privateigentum des
Arbeiters an seinen Produktionsmitteln bildet. Sie trennt den Arbeiter von seinen Pro-
duktionsmitteln und verwandelt ihn in einen besitzlosen Proletarier, indes die Produktions-
mittel das Monopol einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Großgrund-
besitzen: werden.
Hand in Hand mit dieser Monopolisierung der Produktionsmittel geht die Ber-
drängung der zersplitterten Kleinbetriebe durch kolossale Großbetriebe, geht die Entwicklung
des Werkzeugs zur Maschine, geht ein riesenhaftes Wachstum der Produktivität der mensch-
lichen Arbeit. Aber alle Vorteile dieser Umwandlung werden von den Kapitalisten und
Großgrundbesitzern monopolisiert. Für das Proletariat und die versinkenden Mittel-
schichten — Kleinbürger, Bauern — bedeutet sie wachsende Zunahme der Unsicherheit ihrer
Existenz, des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Erniedrigung, der Ausbeutung.
Immer größer wird die Zahl der Proletarier, immer massenhafter die Armee der
überschüssigen Arbeiter, immer schroffer der Gegensatz zwischen Ausbeutern und Aus-
gedeuteten, immer erbitterter der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat, der
die »moderne Gesellschaft in zwei feindliche Heerlager trennt und das gemeinsame Merkmal
aller Industrieländer ist.
Der Abgrund zwischen Besitzenden und Besitzlosen wird noch erweitert durch die
im Wesen der kapitalistischen Produktionsweise begründeten Krisen, die immer umfang-
reicher und verheerender werden, die allgemeine Unsicherheit zum Normalzustand der Gesell-
schaft erheben und den Beweis liefern, daß die Produktivkräfte der heutigen Gesellschaft
über den Kopf gewachsen sind, daß das Privateigentum an Produktionsmitteln unvereinbar
geworden ist mit deren zweckentsprechender Anwendung und voller Entwicklung.
Das Privateigentum an Produktionsmitteln, welches ehedem das Mittel war, dem
Produzenten das Eigentum an seinem Produkt zu sichern, ist heute zum Mittel geworden,
Bauern, Handwerker und Kleinhändler zu expropriieren und die Nichtarbeiter — Kapita¬
listen, Großgrundbesitzer — in den Besitz des Produkts der Arbeiter zu setzen. Nur die
Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln — Grund und
Boden, Gruben und Bergwerke, Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Verkehrsmittel — in
gesellschaftliches Eigentum, und die Umwandlung der Warenproduktion in sozialistische,
für und durch die Gesellschaft betriebene Produktion kann es bewirken, daß der Groß-
betrieb und die stets wachsende Ertragsfähigkeit der gesellschaftlichen Arbeit für die bisher
ausgebeuteten Klaffen aus einer Quelle des Elends und der Unterdrückung zu einer
Quelle der höchsten Wohlfahrt und allseitiger, harmonischer Vervollkommnung werde.
Diese gesellschaftliche Umwandlung bedeutet die Befreiung nicht bloß der Arbeiter-
klaffe, sondern der gesamten Menschheit, die unter den heutigen Zuständen leidet. Aber
sie kann nur das Werk der Arbeiterklasse sein, weil alle anderen Klaffen, trotz der
Jnteressenstreitigkeiten unter sich, auf dem Boden des Privateigentums an Produktions-
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