Full text: Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart (Bd. 3)

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Programm der sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 
mittein stehen und die Erhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft zum gemeinsamen 
Ziel haben. 
Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung ist notwendiger- 
weise ein politischer Kampf. Die Arbeiterklasse kann ihre ökonomischen Kämpfe nicht führen 
und ihre ökonomische Organisation nicht entwickeln ohne politische Rechte. Sie kann den 
Übergang der Produktionsmittel in den Besitz der Gesamtheit nicht bewirken, ohne in den 
Besitz der politischen Macht gekommen zu sein. 
Diesen Kampf der Arbeiterklasse zu einem bewußten und einheitlichen zu gestalten 
und ihm sein naturnotwendiges Ziel zu weisen — das ist die Aufgabe der fozialdemo- 
kratifchen Partei. 
Die Interessen der Arbeiterklasse sind in allen Ländern mit kapitalistischer Pro¬ 
duktionsweise die gleichen. Mit der Ausdehnung des Weltverkehrs und der Produktion 
für den Weltmarkt wird die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhängiger von 
der Lage der Arbeiter in den anderen Ländern. Die Befreiung der Arbeiterklasse ist also 
ein Werk, an dem die Arbeiter aller Kulturländer gleichmäßig beteiligt sind. In dieser 
Erkenntnis fühlt und erklärt die sozialdemokratische Partei Deutschlands sich eins mit 
den klassenbewußten Arbeitern aller übrigen Länder. 
Die sozialdemokratische Partei Deutschlands kämpft also nicht für neue Klassen- 
Privilegien und Vorrechte, sondern für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der 
Klassen selbst und für gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller ohne Unterschied des Ge- 
schlechts und der Abstammung. Von diesen Anschauungen ausgehend, bekämpft sie in der 
heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, 
sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klaffe, 
eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse. 
Ausgehend von diesen Grundsätzen, fordert die sozialdemokratische Partei Deutsch- 
lands zunächst: 
1. Allgemeines gleiches direktes Wahl- und Stimmrecht mit geheimer Stimmabgabe 
aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für 
alle Wahlen und Abstimmungen. Proportional-Wahlsystem^ und bis zu dessen 
Einführung gesetzliche Neueinteilung der Wahlkreise nach jeder Volkszählung. Zwei- 
jährige Gesetzgebungsperioden. Vornahme der Wahlen und Abstimmungen an einem 
gesetzlichen Ruhetage. Entschädigung für die gewählten Vertreter. Aufhebung jeder 
Beschränkung politischer Rechte außer im Falle der Entmündigung. 
2. Direkte Gesetzgebung durch das Volk vermittelst des Vorschlags- und Verwersnngs- 
rechts. Selbstbestimmung und Selbstverwaltung des Volks in Reich, Staat, Pro- 
vinz und Gemeinde. Wahl der Behörden durch das Volk, Verantwortlichkeit und 
Haftbarkeit derselben. Jährliche Steuerbewilligung. 
3. Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. 
Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller 
internationalen Streitigkeiten aus schiedsgerichtlichem Wege. 
4. Abschaffung aller Gesetze, welche die freie Meinungsäußerung und das Recht der 
Vereinigung und Versammlung einschränken oder unterdrücken. 
5. Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich-rechtlicher und privatrecht- 
licher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen. 
6. Erklärung der Religion zur Privatsache. Abschaffung aller Aufwendungen aus 
öffentlichen Mitteln zu kirchlichen und religiösen Zwecken. Die kirchlichen und 
religiösen Gemeinschaften sind als private Vereinigungen zu betrachten, welche ihre 
Angelegenheiten vollkommen selbständig ordnen. 
1 Wahleinrichtung, durch die auch die Minderheiten zur Geltung kommen sollen.
	        
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