Full text: Neueste Geschichte seit 1815 bis zur Gegenwart (Bd. 3)

192 Hertling: Das sogenannte Recht auf den vollen Arbeitsertrag. 
Unb alle Versuche, an bie Stelle ber organischen unb gesetzmäßigen unb 
verfassungsmäßigen Fortentwicklung bie roibemchtliche unb gewaltsame Revo¬ 
lution zu setzen, werben nach meiner Überzeugung scheitern — scheitern an 
bem gesunben Sinn bes bentschen Volkes, bas sich selbst ausgeben müßte, 
wenn es Ihnen folgen würbe. (Anbauernber lebhafter Beifall rechts, in 
ber Mitte unb bei ben Nationalliberalen. — Zischen bei ben Sozial- 
bemofraten. — Erneuter lebhafter Beifall.) 
54. Das sogenannte Recht auf den vollen Arbeitsertrag. 
Von Georg Freiherrn von Bertling.1 
Kleine Schriften zur Zeitgeschichte und Politik. Herder, Freiburg i. Br. 1897. 
S. 290 und 295. 
Nichts ist so geeignet, ben Arbeiter mit Haß unb Bitterkeit gegen 
bie bestehenbe Gesellschastsorbnung zu erfüllen, als wenn ihm vorgestellt 
wirb, baß von dem Ertrage seiner mühevollen Arbeit nur ein kleiner Teil 
ihm selbst zufließe, das Übrige dazu bienen müsse, das arbeitslose Einkommen 
ber besitzenben Klassen zu bilben. Folgenbermaßen wird der Beweis geführt: 
„Der Tauschwert bes Arbeitsprodukts beruht auf der darauf verwanbten 
Arbeit. Sie allein ist es, burch welche ber Gegenstanb bem Bebürfnifse 
angepaßt wird, dem ber verarbeitete Rohstoff in feiner ursprünglichen Be- 
schaffenheit nicht hätte bienen können. Von bem Ertrage aber, welchen bas 
verkaufte Produkt abwirft, erhalt der Arbeiter einen Teil in Gestalt des 
vereinbarten Lohnes, ein anberer Teil muß bie sonstigen Probuktionskosten 
decken, er muß Zinsen und Amortisation des auf Gebäube und Maschinen 
verwendeten Kapitals ausbringen. Der brüte Teil aber bildet den Gewinn, 
der aus dem Unternehmen herausspringt und auf ben es bei bem ganzen 
Unternehmen von Ansang an abgesehen ist. Hervorgebracht von dem 
Arbeiter, kommt er doch ausschließlich dem Unternehmer zugute; er ist bie 
Rente, bie biefem mühelos zufallt, bie Belohnung dafür, daß er Kapital 
befaß und andere arbeiten lassen konnte: er gestattet ihm, in Luxus und 
Verschwendung zu leben ober auch Reichtümer aufzuhäufen, wahrend die 
Arbeiter sich mit dem zum Leben Unentbehrlichen begnügen müssen unb 
niemals eine gesicherte wirtschaftliche Grunblage ihrer Existenz gewinnen. 
Das ist ber Weg, auf bem sich mit ber Sanktion bes geltenben Rechtes 
1 Georg Freiherr von Hertling, geboren 1843 in Darmstadt, ist seit 1882 
ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität zu München und Präsident der 
Görres-Gesellschaft. Außer mehreren philosophischen Werken schrieb er: Albertus Magnus. 
Cöln 1880. — Aufsätze und Reden sozialpolitischen Inhalts. Freiburg i. Br. 1884. — 
John Locke und die Schule von Cambridge. Freiburg i. Br. 1892. — Naturrecht und 
Sozialpolitik. Cöln 1892. — Kleine Schriften zur Zeitgeschichte und Politik. Freiburg 
1897. — Prinzip des Katholizismus uud die Wissenschaft. 1899. — Augustin. Der 
Untergang der antiken Kultur. ^Weltgeschichte in Charakterbildern.) Mainz 1902.
	        
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