— 104 —
Lienhard entgegnete: „Wenn ich eine Stunde diesen Himmel des
Lebens, den Frieden im Herzen, genießen kann, so hast du mir ihn
gegeben. Bis in den Tod will ich dir danken, wenn du einst gestorben
sein wirst. O Kinder, tut doch immer recht und folget eurer Mutter,
so wird es euch wohl gehen!“
H. Pestalozzi, „Lienhard und Gertrud.“
7. Franziska.
In einem unscheinbaren Dörfchen am Rhein saß eines Abends,
als es schon dunkeln wollte, ein armer junger Mann, ein Weber, noch
an dem Webstuhl und dachte während der Abeit unter anderem an den
König Hiskias,“) hernach an Vater und Mutter, deren Lebensfaden auch
schon von der Spule abgelaufen war, hernach an den Großvater
selig, dem er einst auch noch auf den Knieen gesessen und an das
Grab gefolgt war, und war so vertieft in seine Gedanken und in
seine Arbeit, daß er gar nichts davon merkte, wie eine schöne Kutsche
mit vier stattlichen Schimmeln vor seinem Häuslein anfuhr und stille
hielt. Als aber etwas an der Türfalle drückte und ein holdes, jugend⸗
liches Wesen hereintrat, von weiblichem Ansehen, mit wallenden,
schönen Haarlocken und in einem langen, himmelblauen Gewande, und
das freundliche Wesen ihn mit mildem Ton und Blick fragte: „Kennst
du mich, Heinrich?“ da war es, als ob er aus einem tiefen Schlafe
aufführe, und war so erschrocken, daß er nichts reden konnte. Deunn
er meinte, es sei ihm ein Engel erschienen, und es war auch so etwas
der Art, nämlich seine Schwester Franziska, aber sie lebte noch.
Einst hatten sie manches Körblein voll Holz barfuß miteinander
aufgelesen, manches Binsenkörbchen voll Erdbeeren am Sonntag mit—
einander gepflückt und in die Stadt getragen und auf dem Heimwege
ein Stücklein Brot miteinander gegessen, und ein jedes aß wenig
davon, damit das andere genug bekäme.
Abs aber nach des Vaters Tode die Armut und das Handwerk
die Brüder aus der elterlichen Hütte in die Fremde geführt hatte,
blieb Franziska allein bei der alten, gebrechlichen Mutter zuͤrück und
pflegte ihrer also, daß sie dieselbe von dem kärglichen Verdienst
ernährte, den sie in einer Spinnfabrik erwarb, und in den langen,
schlaflosen Nächten wachte sie mit ihr und las ihr aus einem alten, zer—
rissenen Buche von Holland vor, von den schönen Häusern und den großen
Schiffen, und ertrug das Alter und die Wunderlichkeit der kranken
Noder Ezechias, der einst in schwerer Krankheit Gott bat, daß er ihm noch Lebens
tage schenke.