Das Mittelalter.
Erste Penode. Die Zeit der Völkerwanderung und der ger-
manischen Staaken auf dem Boden des Römischen Reiches.
§ 58- Die Völkerwanderung. I. Die Wanderungen der Knnnen,
der Westgoten und anderer Völkerschaften nach Westen.
1. Allgemeine Ursache der germanischen Wanderungen. Je seßhafter die
Germanen wurden, desto rascher wuchs die Volkszahl, aber die Ausnutzung
des Bodens hielt damit nicht gleichen Schritt. War nun ein Stamm durch
starke Nachbarn oder ungünstige Bodenverhältnisse verhindert, sein Gebiet
auszudehnen, so mußten in der Fremde neue Wohnsitze gesucht werden, und
ein Teil des Stammes, dem bisweilen der Rest folgte, begab sich auf die
Wanderung. Schon die Züge der Cimbern und Teutonen zur Zeit des
Marius und der Sneven zur Zeit Casars waren solche Bewegungen*).
Seit dem letzten Viertel des 4. Jahrhunderts traten sie so häufig auf, daß
man sie als Völkerwanderung im engeren Sinne bezeichnet. Den Anstoß
dazu gaben die Hunnen.
Um _ 2. Die Hunnen, ein asiatisches Reitervolk mongolischer Rasse, über-
3 <5. schritten um 375 die Wolga und den Don. Diese Wilden erregten durch
ihre Mord- und Raubgier bei allen europäischen Völkern Abscheu und
wurden ihnen durch ihre ungewohnte Kriegführung (wiederholte schnelle
Angriffe) furchtbar"). Verstärkt durch halbgermanische Alanen (Buntkarte 5),
überfielen sie die Ostgoten, deren angeblich 110 Jahre alter sagenberühmter
König Hermanrich aus dem Herrscher- und Heldengeschlechte der Amaler
dabei den Tod sand. Sie zwangen die Ostgoten zur Heeresfolge, ver-
drängten die Westgoten ans ihren Wohnsitzen und machten dann die
ungarischen Steppen zu ihrem Haupttummelplatz.
3. Die Westgoten begaben sich auf das rechte Douauufer, wo sie vom
Kaiser Valens als „Verbündete", als eine Art Grenzwehr, angesiedelt wurden
und vou den römischen Grundbesitzern ein Drittel des Grund und Bodens
erhielten. Aber die Habgier der römischen Beamten reizte sie zur Empörung.
378. Sie besiegten bei Adrianopel 378 den Kaiser, der auf der Flucht ums
Leben kam. Sein Nachfolger Theodosius schloß Frieden mit ihnen, aber
nach seinem Tode erneuerte sich der Zwist. Da erhoben die Goten den
jungen Alarich aus dem Geschlechte der Balten aus den Schild und
*) Die Kopfzahl mancher Wanderscharen, z, B der Cimbern, ist nach neuerer An-
ficht nicht sehr hoch anzuschlagen.