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Dogmen war der Orden nur insofern den Regierungen gefährlich, als
er eine casuistische Moral predigte und sich von dem Grundsätze leiten
ließ, der Zweck heilige die Mittel. Die Jesuiten waren aber eine für
die Regierungen gefährliche Macht geworden; sie hatten eine säst unbe¬
grenzte Gewalt über die Seelen der Menschen erlangt; sie bildeten
einen Staat im Staate und dienten bloß ihrem General und dem
Papste. Der Orden war auch eine gefährliche Geldmacht geworden,
welche durch große Handelsunternehmungen in Amerika und in Europa
alle bedeutenderen Geschäfte der Privatleute an sich zu bringen suchte.
Der Jesuiten-Orden war ein über die ganze Erde verbreiteter ge¬
heimer Bund, welcher die Religion und die Hierarchie des Mittelalters
zu erhalten und jeden Fortschritt der Menschheit zu hemmen suchte. Ec
hatte in allen Klassen und Ständen Mitglieder, beherrschte durch die
Beichtstühle die Fürsten und den Adel und kam so in den Besitz aller
Geheimnisse. Zur Erreichung seiner Zwecke standen ihm die ausgedehn¬
testen Geldmittel zu Gebote. Ec konnte in alle Kreise und Verhältnisse
des Lebens eingreifen, übte nicht nur auf alle katholischen Lehranstalten
einen großen Einfluß, sondern besaß auch selbst überall Schulen für
die gebildete Klasse, in welchen der Unterricht nur von Mitgliedern des
Ordens ertheilt wurde. Aller fähigeren Köpfe bemächtigte sich der Or¬
den und bildete sie zu Sophisten, damit sie seinen Zwecken dienen könn¬
ten; die beschränkten Schüler dagegen überließ er dem Staate zu dessen
Geschäften.
Der erste Angriff aus die Jesuiten wurde dadurch hervorgerufen,
daß diese ihre geistliche Stellung zur Gründung einer weltlichen Macht
und zur Erwerbung großer Reichthümer mißbraucht hatten. Obgleich durch
eine päpstliche Bulle den Jesuiten Handel und Gewerbe und jede welt¬
liche Herrschaft über neubekehrte Völker untersagt worden waren, trieb
der Orden doch großartige Geldgeschäfte'und gründete in Südamerika
einen besonderen Staat. Dieser entstand aus den Missionen, welche der
Jesuiten-Orden sowohl im spanischen als im portugiesischen Paraguay
errichtet hatte. Ec umfaßte einen ausgedehnten Strich Landes, und die
Jesuiten hatten sich die alleinige Regierung in demselben verschafft. Die
Jesuiten, welche den einzelnen Bezirken vorstanden, sorgten für die
Bedürfnisse der Indianer, leiteten und lenkten das ganze Leben derselben
und richteten alles so ein, daß die Unterthanen glücklich, aber gedanken¬
los dahin lebten. Was die Indianer durch ihren Fleiß erwarben, kam
mit Abzug des zu ihrem Unterhalt Nöthigen in die Magazine der Je-
suiten. Auf diese Weise erwarb der Orden bedeutende Schätze. Auch
im übrigen spanischen und portugiesischen Amerika wußte der Orden
seine Einkünfte zu vermehren.
Als in Folge eines Vertrags zwischen Spanien und Portugal
(1750) ganz Paraguay an Portugal abgetreten und die Eingebornen
in andere Gegenden versetzt werden sollten, fügten sich die Indianer
laicht, und es kam zum förmlichen Krieg. Dieser endigte 1755 damit,
daß das Land zur Einöde gemacht wurde. Die armen Jesuiten-Zög¬
linge, welche der Krieg nicht hingerafft hatte, wurden als Sklaven in
andere Gegenden geschleppt, oder flohen in die Gebirge und Urwälder
zurück, aus denen die Jesuiten sie geholt halten. Der Staat der Je¬
suiten in Amerika gestattete zwar keine selbständige Enwickelung der