Full text: Geschichte des Altertums (Teil 3)

§ 11. Weitere Ausbreitung über See und Sicherung der nationalen (Einheit. 39 
b) Tie nationale Einheit der Griechen wurde durch die Ausbreitung 
und Zerstreuung nicht gefährdet. Die Kolonisation trug vielmehr dazu bei, 
sie einander näher zu bringen. An dem Gegensatz zu den nichtgriechischen 
Völkern, die man im stolzen Bewußtsein eigener Vorzüge verächtlich 
„Barbaren" nannte, erkannten sich alle Griechen als Söhne eines Volkes. 
Die gleiche Sprache, ähnliche Sitten, die gemeinsamen Götter, „denen sie 
alle aus einer Schale opferten", hielten sie verbunden. Die durch die 
überseeischen Städtegründungen hervorgerufene Mischung der Stämme, die 
andauernde Verbindung vieler Städte durch Handel und Verkehr, der 
Austausch geistiger und äußerer Güter erhielt das Gefühl nationaler Zu- 
sammengehörigkeit sehr rege. Dazu traten noch mehrere Einrichtungen 
religiöser und weltlicher Art. 
1. DieAmphiktyonieen. Die Amphiktyonieen, Vereinigungen mehrerer 
Staaten, hatten den Zweck, für den Schutz eines gemeinsamen Heiligtums 
zu sorgen und zusammen religiöse Feste zu feiern. Zwölf Stämme bilden 
die delphische Amphiktyonie, welche den Apollotempel zu Delphi (und 
den der Demeter an den Thermopylen) schirmte. Ihre Mitglieder hatten 
sich eidlich verpflichtet, keine Bundesstadt zu zerstören und keiner das 
Wasser abzuschneiden. Der Verband zum Schutze des Apollotempels auf 
der Insel Delos umfaßte alle Jonier zu beiden Seiten des Meeres; an 
der Feier im Poseidontempel zu Mykale beteiligten sich alle Griechen 
des kleinasiatischen Festlandes. Wie im Mittelalter reihten sich an die 
religiösen Feste rege besuchte Märkte (Messen). 
2. Tie Orakel. Von gleicher Bedeutung waren die Stätten der 
Weissagung, die Orakel, wie das des Zeus in Dodöna, des Apollo in 
Delphi. In Delphi saß, wenn Pilger den Gott um Rat fragten, auf 
einem Dreifuß im Tempel über einer Erdspalte die Priesterin, die Pythia^), 
und gab in heiliger Begeisterung die rätselhaften göttlichen Offenbarungen 
kund, welche dann von den Priestern in Verse gefaßt wurden. Reich- 
gefüllte Schatzhäuser bargen die Spenden dankbarer Frager, auch solche 
von nichthellenischen Königen (wie von Krösos). Da es im 6. Jahr- 
hundert immer mehr Sitte wurde, vor der Ausführung wichtiger Unter- 
nehmungen den allessehenden Sonnengott Apollo um Rat anzugehen, 
wurde Delphi zum nationalen Mittelpunkt. 
3. Festspiele. Alle vier Jahre kamen zur Zeit der Sommersonnen- 
wende von allen Städten und Küsten die Hellenen zusammen, um beim 
heiligen Haine Altis in Elis am Alpheosflnsse zu Ehren des olympischen 
Zeus im Tempelgebiet von Olympia gemeinsame Spiele zu feiern. Dann 
herrschte fünf Tage Gottesfriede, fo weit die griechische Zunge klang, und 
ritterliche Wettkämpfe im Wettlauf, Ringen, Faustkampf, Speer- und 
*) Da Pytho der älteste Name für Delphi war, wurde Pythios der Beiname des 
in Delphi verehrten Sonnengottes Phöbos Apollo. (Pythia — Priesterin der Pythios.)
	        
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