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reich im Jahre 1879 und mit Italien 1886 abgeschlossen
und so inmitten Europas eine Macht begründet, wodurch alle
Kriegsgefahren bis jetzt mit Erfolg abgewendet worden sind.
So durfte Kaiser Wilhelm es an feinem 90. Geburts-
tage, den er in seltener Rüstigkeit im Kreise seiner Lieben
unter den Glückwünschen der zivilisierten Welt beging, als
eine besondere Gnade bezeichnen, daß es ihm vergönnt ge¬
wesen, bis zu dem hohen Alter Europa den Frieden zu
erhalten.
Ausgang. Um so herzlicher hat sodann das deutsche
Volk Anteil genommen an der Person des Kaisers, als eine
tückische Krankheit den Erben seiner Krone befiel. Zu der
Sorge um das bedrohte Leben des Thronfolgers gesellte sich
bei dem greisen Monarchen noch die Trauer um den in
blühender Jugend dahingerafften Enkel, den zweiten Sohn
der geliebten Tochter. Allem Anscheine nach sind diese Ge¬
mütsbewegungen nicht ohne Einfluß geblieben auf den raschen
Eintritt einer Katastrophe, den ein altes Leiden des Hoch-
betagten sofort verhängnisvoll erscheinen ließ. Der treuesten
und liebevollsten Pflege der Kaiserin und der gesamten Kaiser-
lichen Familie, der gewissenhaftesten Behandlung ausgezeich-
neter Arzte war es leider nicht möglich, das Leben des
Teuren zu erhalten. Nach kurzem Krankenlager schied Kaiser
Wilhelm am 9. März 1888, vormittags 81/* Uhr, aus
dem Lsben. Dem Reiche galt die letzte seiner Regierungs¬
handlungen. Das letzte Wort, welches er den Mahnungen
seiner Tochter, der Großherzogin von Baden, entgegenhielt,
lautete: „Ich habe keine Zeit müde zu sein."*)
Betrauert von seinem Volke, ja, von der gesamten
Menschheit, soweit dieselbe Kunde von seinem Scheiden er-
halten, fand der Verblichene seine Ruhestätte im Mausoleum
Zu Charlottenburg an der Seite der von ihm hochge¬
schätzten Eltern.
Ein langes, wechselvolles Leben ging mit ihm zu Ende, reich
an trüben, noch reicher an glänzenden Tagen. Die ersten Kinderjahre
Kaiser Wilhelms fallen zusammen mit Preußens tiefster Erniedrigung;
als Jüngling war er Zeuge, wie das deutsche Volk die Ketten der
Fremdherrschaft brach; in der friedlichen und doch so unbefriedigenden
Zeit nach den Freiheitskriegen reifte er zum Manne. In der Boll-
kraft der Jahre half er die Revolution niederwerfen. Die Schwelle
des Greisenalters hatte er bereits überschritten, da er als Regent an
Stelle seines unheilbar erkrankten Bruders trat. Und doch war er
von der Vorsehung berufen, an der Neugestaltung Deutschlands und
*) Vergl. das gleichnamige Gedicht in „Trauer und Treue" von Dr. K. Menae,
Leipzig. B. G. Teubner, 1890. ö
Werner, Lehrbuch. 13